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Beherrschung horizontaler und vertikaler Komplexität über Produktordnungssysteme

[13.11.2005]

Foto: Mimi Potter / fotolia.com
Trotz erfolgreicher Einführung von Produktplattformen, der Verwendung von Gleichteilen sowie der Modul- und Systembildung sehen viele Unternehmen weiterhin erheblichen Handlungsbedarf bei der Beherrschung der Komplexität. Warum reichen die bisherigen Ansätze alleine nicht aus? Eine umfassende Untersuchung bei einem Hersteller von Haushaltsgeräten liefert insgesamt 46 relevante Komplexitätstreiber. Viele Unternehmen, die sich mit dem Problem der Komplexität beschäftigen, fokussieren wenige Komplexitätstreiber und optimieren einzelne Produktstrukturen, ohne die Querbeziehungen zu weiteren Produktlinien zu berücksichtigen. Die übrigen Komplexitätstreiber werden zur Vereinfachung des Problems nicht berücksichtigt. Der erste notwendige Schritt ist daher die vollständige Aufnahme der Komplexitätstreiber. Diese lassen sich zur gezielten Beeinflussung oder Handhabung in Treiber der Komplexität der Produktstruktur ("horizontale Komplexität") und in Treiber der Komplexität des Produktprogramms ("vertikale Komplexität") einteilen. Wird eine Vorgehensweise gewählt, die alle wesentlichen Komplexitätstreiber beider Komplexitätsdimensionen berücksichtigt und eine quantifizierbare Größe für die Komplexität findet, besteht die Chance auf eine weitere deutliche Komplexitätsreduzierung. Diese bildet die Grundlage für die Senkung der Overhead-Kosten mit den Folgeeffekten geringerer Produktkosten und höherer erzielbarer Margen.

Mit der Einführung von Produktplattformen, baureihenübergreifenden Gleichteilen, räumlich integrierten Modulen und funktionsintegrierten Systemen stehen einzelne Ansätze zur Komplexitätsreduzierung zur Verfügung. Die nach wie vor bestehenden Probleme in der Praxis zeigen aber, dass Bedarf an einem Gesamtkonzept besteht, mit dem die Komplexität sowohl von einzelnen Produkten als auch im gesamten Produktprogramm beherrscht werden kann. Häufig wird nur eine Optimierungsrichtung verfolgt. Beispielsweise wird an der Reduzierung der vertikalen Komplexität gearbeitet, in dem die Produktstruktur eines Neuproduktes durch Reduzierung der Teilezahl sowie der Anzahl unterschiedlicher Teile optimiert wird. Der erforderliche Schritt zur Reduzierung der horizontalen Komplexität, im Beispiel die Übertragung der Erkenntnisse auf weitere Produktlinien sowie eine übergreifende Optimierung, bleibt vielfach aus. Auch fehlt es an einer kontinuierlichen Verfolgung der Komplexitätsthemen. Vielfach werden zwar zeitlich begrenzte Aktivitäten gestartet, deren Wirksamkeit nach anfänglichen Erfolgen nach längerem Abstand nicht mehr messbar ist. Dieses hat zur Folge, dass die Wirksamkeit der Konzepte generell angezweifelt wird. Ein weiteres Problem bei der Beherrschung der Komplexität stellen die vielfältigen Quellen der Komplexität dar. Dazu gehören Anforderungen aus unterschiedlichen Märkten, von verschiedenen Kunden und unternehmensinternen Fachbereichen, die sich zusätzlich innerhalb kurzer Zeit dynamisch verändern.

Indikatoren für bestehenden Handlungsbedarf im Unternehmen sind unter anderem ein weiteres rasches Variantenwachstum, eine hohe absolute Teilezahl, geringe Losgrößen, viele Neuanläufe sowie insgesamt hohe Gemeinkostenanteile.Der Lösungsweg zur Beherrschung der Komplexität hat als Ausgangspunkt die unternehmensspezifische Analyse der Komplexitätstreiber. Als Komplexitätstreiber gelten alle Einflussfaktoren auf die Komplexität von einzelnen Produkten, Varianten und des gesamten Produktprogramms. Daran anschließend erfolgt die Bewertung der Komplexitätstreiber nach Beeinflussbarkeit, Bedeutung und Kostenwirkung. Eine Klassifizierung der Treiber nach horizontaler, vertikaler oder kombinierter Komplexitätswirkung ist für den gezielten Strategieeinsatz zur Beeinflussung und Handhabung der Treiber hilfreich. Zur Erfolgsmessung werden Kennzahlen für horizontale und für vertikale Komplexität definiert. Die vertikale Komplexität lässt sich z.B. über die absolute Zahl an Teilen je Produkt sowie die darin enthaltene Zahl unterschiedlicher Teile beschreiben. In die Messung der horizontalen Komplexität fließen unter anderem die Anzahl an Plattformen sowie die damit verbundenen Produktbaureihen und Varianten ein. Die Definition einer zusammenfassenden Komplexitätskennzahl für Produktplattformen und -varianten ermöglicht es, Entscheidungen zwischen Lösungsalternativen objektiv zu treffen und Komplexitätsgrenzwerte für neue Plattformen und Varianten festzulegen und zu controllen. Die Komplexitätskennzahl ist eine Indexgröße, mit der die wesentlichen Komplexitätstreiber berücksichtigt werden können. Auswahl und Gewichtung einzelner Faktoren erfolgt dabei unternehmensindividuell.

In dem betrachteten Unternehmen konnten die horizontale und vertikale Komplexität quantifiziert und für eine neue Produktplattform um über 30% reduziert werden. Durch eine parallele Erfassung der komplexitätsbezogenen Kosten konnten dadurch die kalkulierten Overhead-Kosten der neuen Produktplattform gesenkt und mit den Folgeeffekten geringere Produktkosten sowie höhere Margen realisiert werden.

Weiterführende Literatur zu dem Themengebiet

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