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Bewertung von Lieferantenbeziehungen

[21.10.2012]

Foto: frender - fotolia.com

Die stetig sinkende Tiefe der Wertschöpfungskette einzelner Unternehmen resultiert in einer zunehmenden Zahl von - oftmals branchenübergreifenden - Kooperationen. Zulieferer werden dabei sukzessive in den Wertschöpfungs- und Entwicklungsprozess integriert. Die Qualität des Ergebnisses steht hierbei jedoch in engem Zusammenhang mit der Qualität der Beziehung zum jeweiligen Geschäftspartner. Im Rahmen dieses Projektes wurde daher ein Bewertungsschema entworfen, welches die Natur der Beziehung zu Lieferanten veranschaulicht und somit deren Messbarkeit ermöglicht.

Ausgangssituation

Die Erhaltung und Verbesserung der eigenen Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit sollte Ziel jedes erfolgreichen Unternehmens sein. Aber wie geht ein Hersteller damit um und welcher Wert ist Lieferantenbeziehungen beizumessen, wenn die eigene Leistungskraft direkt von der Leistungsfähigkeit der ausgewählten Lieferanten abhängt? Ursächlich für diese Abhängigkeit sind tiefgreifende Veränderungen auf den Beschaffungsmärkten und in innerbetrieblichen Abläufen. Beispielhaft seien an dieser Stelle die zunehmende Globalisierung, kürzere Produktlebenszyklen sowie eine sinkende oder auf niedrigem Niveau stagnierende Fertigungstiefe, die Konzentration auf Kernkompetenzen und die konsequente Umsetzung des Lean Gedankens genannt. Steigende Beschaffungsumfänge werden den Bedeutungszuwachs weiter beschleunigen, denn Lieferanten nehmen beispielsweise durch eigene Entwicklungs- und Innovationsleistungen, Verbesserungen von Prozessen bereits jetzt direkt Einfluss auf die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit ihrer Abnehmer. Die Herausforderung besteht zukünftig darin, die Beziehungsebene zu ausgewählten Lieferanten auf- und auszubauen. Hierbei liegt eine zusätzliche Schwierigkeit darin, dass es sich bei Lieferantenbeziehungen um immaterielle Vermögenswerte handelt, die nicht bilanzierungsfähig sind. Um die Qualität einer Lieferantenbeziehung bewerten und vergleichen zu können, ist diesem „Vermögen“ eine Gegenständlichkeit zu verleihen.

Bewertung von Lieferantenbeziehungen

Ziel der Bewertung ist es, den Zustand von bestehenden, partnerschaftlichen und opportunistischen Lieferantenbeziehungen auf Basis qualitativer und quantitativer Kriterien abzubilden. In diesem Zusammenhang wird eine Beziehung definiert als „Gesamtheit der Kontakte, Interaktionen, Transaktionen und Vereinbarungen zwischen Lieferant und Abnehmer“. Da Qualität und Aussagekraft der Zustandsbewertung einer Lieferantenbeziehung entscheidend von dem zugrunde gelegten Kriterien-/ Merkmalskatalog abhängt, besteht eine wesentliche Aufgabe darin, diejenigen Merkmale zu identifizieren, die den aus der Lieferantenbeziehung entstehenden Wertzuwachs eindeutig widerspiegeln. Hierzu werden die in der Literatur festgelegten Leistungsmerkmale von Lieferanten wie Qualität, Lieferzuverlässigkeit, Logistik und Technik/ Technologie um beziehungsrelevante Dimensionen erweitert. Aus einzelnen Transaktionsepisoden entwickelt sich im Laufe der Zeit ein Geflecht aus wirtschaftlichen, geschäftspolitischen und sozialen Beziehungen. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich eine Modellgröße, welche als Atmosphäre der Interaktionsbeziehung bezeichnet wird. Der Atmosphäre werden die Dimensionen „Beziehungsqualität“, „Bindung“ sowie „Macht und Abhängigkeit“ zugeordnet. Die für diese Bereiche charakteristischen Merkmale beschreiben eine Beziehung umfänglich. Zur Modellierung des Sachverhalts wurde im Rahmen des Projektes ein erweitertes Lieferanten-House-of-Quality erstellt. Die reine Bewertung der Leistungsfähigkeit des Lieferanten wird dabei um situative Gegebenheiten der Beziehungsatmosphäre ergänzt.


Abbildung 1: Erweitertes Lieferanten-House-of-Quality

Zur Charakterisierung der Leistungsfähigkeit wurden die in der Literatur vertretenen Merkmalskataloge auf wesentliche Merkmale, die eine bestehende Lieferantenbeziehung bewerten, reduziert. Betrachtet werden Entgelt-, Qualitäts-, Logistik-, Service-, Informations- und Kommunikationsleistung sowie Kooperationsbereitschaft und Innovationsleistung. Zusammen mit geeigneten Messgrößen bilden diese Kriterien ein Polaritätenprofil.

Um der Relevanz der Beziehungsatmosphäre umfänglich Rechnung zu tragen wurden zudem weitere Polaritätenprofile erstellt, die explizit auf die Bereiche „Bindung und Beziehungsqualität“ sowie „Macht und Abhängigkeit“ eingehen und damit das bereits erweiterte House of Quality ergänzen.

Obwohl weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass die Qualität der Beziehung und der Bindung zwischen Kunde und Anbieter eine wichtige Determinante der Stabilität und Intensität von Geschäftsbeziehungen darstellt, wird die Güte dieser Beziehung in bestehenden Bewertungsansätzen nicht ausreichend berücksichtigt. Von Unternehmen werden in diesem Rahmen die Bereiche „Vertrauen“ und „Zufriedenheit“ häufig zur Beschreibung der Beziehungsqualität angeführt. Weiterhin können die Kategorien „Commitment“ und „Beabsichtigte Ausweitung der Geschäftstätigkeit“ ebenfalls der Beziehungsqualität zugeordnet werden. Damit umfasst die Beziehungsqualität prinzipiell psychologische Indikatoren, die von der Ebene der Individuen auf die Organisationsebene übertragen wurden.

Auf der Organisationsebene führt die Arbeitsteilung, insbesondere bei Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen, zu Interdependenzen der beiden Vertragspartner. Diese Tatsache kann auf Grund der variierenden Dringlichkeit unterschiedlicher Bedürfnisse der Interessensgruppen unvermittelt in Machtbeziehungen umschlagen.

Zu Recht wird Abhängigkeit häufig mit Macht assoziiert. Sobald eine Partei auf eine andere angewiesen ist, erhält die eine Partei Macht. Macht soll hier verstanden werden als Chance, unternehmenseigene Motive durchzusetzen. Generell kann das Macht- und somit auch das Abhängigkeitsverhältnis bei zwei Vertragsparteien entweder zugunsten des Abnehmers, des Lieferanten oder wechselseitig ausgestaltet sein.

Potenziale der Bewertung von Lieferantenbeziehungen

Für die zielführende Ausgestaltung der Beziehung zu Lieferanten ist die Kompatibilität der eigenen Unternehmensziele und Unternehmensstrategie mit denen des Vertragspartners von hoher Bedeutung.

Denkbare Anwendungsmöglichkeiten der Ergebnisse einer Bewertung sind beispielsweise im Bereich der Steuerung und des Managements von Lieferantenbeziehungen oder als Kommunikationsmittel. Das Management der Abnehmer-Lieferanten-Beziehung kann als Kern des strategischen Beschaffungsmanagements betrachtet werden. Auf Grund der Vielzahl an Lieferantenbeziehungen eines Unternehmens erfährt die individuelle Erschließung bzw. Erhaltung interner und externer Erfolgspotenziale zunehmende Bedeutung. Jede Lieferantenbeziehung weist dabei eine unterschiedliche Kombination von Merkmalen und Ausprägungen ihrer Einflussfaktoren auf, welche es zur Erschließung typspezifischer Handlungsfelder eindeutig zu analysieren gilt.

Für das Management der Lieferantenbasis, die Lieferantentwicklung und die Lieferantenintegration stellt das vorgestellte Modell somit eine Entscheidungsgrundlage dar, auf deren Basis Handlungsalternativen identifiziert und priorisiert werden können. Gezieltes Beziehungsmanagement ermöglicht die Realisierung von abgestimmten Grundsätzen, Leitbildern und Einzelmaßnahmen zur langfristig zielgerichteten Selektion, Anbahnung, Steuerung und Kontrolle von Geschäftsbeziehungen. Dem zunehmenden Einfluss der Lieferantenbeziehungen auf die Unternehmensziele, wie die kontinuierliche Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, Profitabilität und langfristigen Unternehmensentwicklung, kann damit effektiv begegnet werden. Die direkten Potenziale erfolgreicher und langfristiger Geschäftsbeziehungen liegen dabei in den Bereichen Ertragsteigerung, Kostensenkung und Innovationsfähigkeit. Dies begründet sich vor allem in einer Senkung der Transaktionskosten bei effizienten Kollaborationen. Weiterhin verspricht der aus der Beziehung entstehende Austausch von Fachwissen eine exponentielle Zunahme der Kreativität und öffnet Zugang zu zusätzlichen Technologiekompetenzen.

An dieser Stelle soll darauf verwiesen werden, dass auch andere Bereiche ein Interesse an der Messung des Wertbeitrags bzw. an bewerteten Lieferantenbeziehungen haben. Nachweislich überdurchschnittlich ausgeprägte Lieferantenbeziehungen können beispielsweise die Aufnahme von Risikokapital unterstützen. Lieferantenbeziehungen können hierbei in Verhandlungen über Konditionen als immaterielle Vermögenswerte aufgeführt werden.

Beratungsprodukte

  • Lieferantenmanagement
    Das Lieferantenportfolio wird detailliert und strukturiert sowie die jeweiligen Stärken und Schwächen der Lieferanten identifiziert und analysiert.

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