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Call Center - Ein Instrument zur Senkung von Service- und Vertriebskosten?

[27.11.2000]

Foto: sveta / fotolia.com
‘Im Dschungel der Anbieter wird der bestehen, der im Kunden den Menschen erkennt‘, denn wo ein Brief zu anonym und ein Außendienstbesuch zu aufwendig wäre, sei der Griff zum Hörer die ideale Maßnahme. Dies ist die Aussage einer Münchner Unternehmerin, die sich mit ihrer Agentur auf Telefonmarketing spezialisiert hat und die Markttrends ‘wie ihrer eigene Westentasche‘ kennt. Call Center werden immer stärker zu einem Markenzeichen erfolgreicher, kunden- und serviceorientierter Unternehmen. Lange als Modeerscheinung und als Vertriebs- sowie Marketingwerkzeug des Versandhandels, der Direktbanken sowie Online-Dienste der großen Mobilfunkbetreiber diskreditiert, entwickelt sich die Institution Call Center zu einem seriösen, branchenübergreifend eingesetzten Kundengewinnungs- und Kundenbindungskonzept. Ob nun Siemens, Bertelsmann, ADAC, Lufthansa oder SAP, alle setzen Call Center ein, um den Kundennutzen zu steigern und ihr Serviceimage aufzubessern. Erweist sich jedoch das Call Center gleichermaßen als Instrument zur Senkung von Service- und Vertriebskosten, die im Durchschnitt bei 20% des Umsatzes liegen, oder wird Kundenzufriedenheit durch einen inakzeptablen Kostenanstieg erkauft? Glaubt man den Veröffentlichungen zur Call Center-Thematik, dann ist jenes Vertriebskonzept Garant für die Lösung aller vorhandenen Vertriebsprobleme.

Call Center als innovatives Vertriebskonzept?

Call Center sind Organisationseinheiten, deren Aufgabe darin besteht, einen serviceorientierten und effizienten telefonischen Dialog mit Kunden und Interessenten durch Einsatz modernster Informations- und Telekommunikationstechnologien unter Wahrung von qualitativen (Kunden­orientierung/ Kunden­zufriedenheit) und quantitativen (Kostensenkung, Markt­anteils­steigerung oder Umsatzsteigerung) Zielen zu ermöglichen. Die Kundenanforderungen haben sich von einer reinen Erfüllung technischer Anforderungen hin zu innovativen Leistungs- und Servicemerkmalen verschoben. Um Wettbewerbsvorteile durch Differenzierung am Markt zu erreichen, streben Unternehmen verstärkt neue Wege des Marktauftritts und der Marktbearbeitung an. Alternative Vertriebskonzepte wie z.B. der Einsatz von Telefon- oder Online-Diensten schaffen Umsatzpotentiale im Kampf um weltweite Marktanteile. Anwendungsfelder der Call Center-Applikation liegen inzwischen nach anfänglicher Fokussierung auf den Handels-, Direktbanking-, Telekommunikations- und Versicherungsbereich verstärkt in der Investitions- und Konsum­güter­industrie. Call Center dienen nicht nur der Vertriebsunterstützung, sondern darüber hinaus auch dem Marketing und dem Kundensupport. So reichen die Einsatzmöglichkeiten von der Kundenberatung und dem Bestell­wesen über die Kundenbetreuung bis hin zum Beschwerde- und Eskalationsmanagement. Katalysator für den Erfolg des Call Center-Konzeptes ist die rasante Entwicklung der modernen Informationstechnologie. Sie unterstützt die Überwindung zeitlicher und räumlicher Distanzen und erhöht Art, Anzahl und Qualität der verfügbaren Produkt- und Kundeninformationen in einem bedeutenden Ausmaß.

Call Center ermöglichen eine Doppelstrategie aus Kostensenkung und Umsatzsteigerung

Die Ziele der Call Center-Einführung sind plural ausgeprägt. Sie fokussieren einerseits eine verstärkte Kundenorientierung und tragen andererseits zu einer bedeutenden Produktivitäts­steigerung im Vertriebs-, Marketing- und Serviceprozess bei. Kundengewinnung und -bindung erfordern die elementare Verbesserung der Erreichbarkeit von Unternehmen im Kauf- und/oder Reklamationsfall, die Steigerung der Gesprächsqualität im telefonischen Kundenkontakt sowie die Förderung der Kommunikationskompetenz von Call Center-Mitarbeitern. Insbesondere die Annahme und Bearbeitung der Anrufe ohne Verzögerung repräsentieren das Basisfundament einer gesteigerten Kundenzufriedenheit. Effiziente Informations- und Prozessabläufe sowie der kapazitäts­orientierte Einsatz von Personal im Call Center tragen zu einer zusätzlichen Wert­schöpfungs­steigerung bei. Die Institutionalisierung einer Call Center-Organisation ermöglicht die Realisierung einer Doppelstrategie aus Kostensenkung und Ertragssteigerung. Durchschnittlich läßt sich eine Reduzierung der Vertriebskosten um 32 % und darüber hinaus eine Umsatzerhöhung im Durchschnitt von 6 % erzielen. Während sich die Potentiale auf Kostenseite kurzfristig realisieren lassen, erfordert ein Umsatzplus als Folge der Gewinnung von zusätzlichen Marktanteilen, einer verstärkten Kundenbindung sowie dem Angebot von Zusatzservice einen langfristigen, mehrjährigen Betrachtungshorizont. Darüber hinaus ist die Potentialrealisierung an einige bedeutende Voraussetzungen geknüpft.

Erfolgsfaktor ‘Organisationsstruktur‘

Zur Verwirklichung von Kostensenkungs- und Ertragssteigerungspotentialen muss die Call Center-Organisation sowohl aus aufbau- als auch ablauforganisatorischer Sicht den spezifischen Kundenanforderungen gerecht werden. Durch die Institution Call Center werden viele Funktionen im Gesamtunternehmen, wie z.B. Vertrieb, Marketing, Support, Qualitätsmanagement oder Personal berührt. Zur erfolgreichen Umsetzung bedarf es deshalb einer Integration der Call Center-Philosophie in die Unternehmensstrategie. Ferner müssen die Schnittstellen zu anderen Bereichen klar abgegrenzt und eindeutige Verantwortlichkeiten definiert sein. Für viele Unternehmen stellt sich nicht mehr die Frage ‘Call Center Ja oder Nein‘, sondern wie schnell und mit welcher Lösung - z.B. in Form eines Inhouse-Call Centers oder mittels Outsourcing eines spezifischen Aufgabenprofils - das Call Center realisiert werden soll. In Abhängigkeit vom zu bewältigenden Tätigkeitsspektrum -aktives und passives Telefonmarketing oder Support - bestimmt sich die Prozessgestaltung des zu errichtenden Call Centers. Einfache und transparente Organisationsstrukturen sind Voraussetzung für eine schnelle und flexible Anpassung der Organisation an veränderte Anforderungen, wie z.B. die Übernahme des Service für ein neues Produkt. Das Call Center kann zur Vertriebsoptimierung und Kostensenkung eingesetzt werden, indem zeitintensive Aufgaben vollständig auf das Call Center übertragen werden. Somit lassen sich auch qualitativ hochwertige Serviceleistungen über das Telefon erbringen, wodurch ein zusätzliches Kostenreduktionspotential entsteht. Der Außendienst wird durch die Vertriebsunterstützung seitens des Call Centers entlastet und kann sich vermehrt der Kundenbetreuung und Neukundengewinnung widmen. Temporäre Marketing-/Verkaufs­förderungs­aktionen repräsentieren ein optionales Aufgabenfeld des Call Centers zur flexiblen und kosten­günstigen Bewältigung von Spitzenzeiten.

Erfolgsfaktor ‘Informationstechnologie‘

Der Einsatz moderner Kommunikationstechnik wie z.B. ACD (Automatic Call Distribution), CTI (Computer Telephone Integration) oder IVR (Interactive Voice Response) ermöglicht den effizienten Betrieb von Call Centern. Mittels der genannten Techniken läßt sich sowohl eine Kapazitäts­optimierung vornehmen als auch ein schneller Zugang zum Operator ohne lange Wartezeiten realisieren. Zur Basisaustattung eines Call Centers gehören insbesondere eine digitale oder ISDN-Nebenstellenanlage, Systeme zur automatischen Anrufverteilung, Informations- und Statistik-/Auswertungssysteme sowie ein Internetanschluss. So können z.B. mindestens 80 % der telefonischen Anfragen durch geschulte, computergestützt arbeitende Call Center-Mitarbeiter sofort beantwortet werden. Die optimale IT-Unterstützung in Verbindung mit einer Standardisierung der Call Center-Aktivitäten ermöglicht Kostensenkungen bei gleichzeitig kürzeren Durchlaufzeiten und verstärkter Kundenorientierung. Der Einsatz von Computer Aided Selling (CAS) schafft darüber hinaus als Ergänzungsmodul der softwaretechnischen Call Center-Ausstattung eine effiziente und kostengünstige Vertriebssteuerung sowie Marktbearbeitung.

Erfolgsfaktor ‘Mitarbeiterqualifikation und -motivation‘

Die Mitarbeiter im Call Center stellen die Drehscheibe zwischen Innenorganisation des Unternehmens und der Außenwelt dar. Als entscheidend für die erfolgreiche Realisierung eines Call Centers erweist sich die Ausgestaltung der Gestaltungsfelder ‘Qualifizierung/Training‘, ‘Entgelt- und Anreizsystem‘ sowie ‘Arbeitszeitgestaltung‘. Die Call Center-Mitarbeiter (Agenten) repräsentieren das Unternehmen nach außen und prägen dadurch nachhaltig das Serviceimage. Neben umfangreichen Produktkenntnissen müssen die Agenten noch über weitere Fähigkeiten und Voraussetzungen verfügen, wie z.B. eine deutliche Aussprache, Freundlichkeit, Fähigkeit zum Zuhören, Einfühlungs­vermögen, Verhandlungsgeschick sowie eine breite Allgemeinbildung. Das geforderte Qualifikations­niveau des Call Center-Personals ist durch anforderungsgerechte Personalauswahl sowie durch die Konzeptionierung zielgruppenspezifischer Qualifizierungsprogramme zu erreichen. Dem gewandelten Selbstverständnis der Mitarbeiter muss mit geeigneten Anreizsystemen begegnet und potentielle Machtkämpfe zwischen Außendienst und Call Center Agenten beseitigt werden.

Call Center im Spannungsfeld zwischen Kostenreduktionscenter und Kundenbindungscenter

Call Center helfen in Zeiten harten Wettbewerbs, Vertriebs- und Servicekosten zu senken, Wiederkaufsraten zu erhöhen, Beschwerden zu managen, Reklamationskosten sowie die Auftragsdurchlaufzeiten zu senken und Umsatzpotentiale auszuschöpfen. Call Center sind nicht das alleinige ‘Allheilmittel‘, um den Servicegrad zu verbessern, die Produktivität in Marketing-, Vertriebs- und Supportprozessen zu erhöhen sowie umfassende Kostenreduktionspotentiale zu erschließen. Sie stellen ein Additiv dar, um einen Mehrwert für den Kunden und das Unternehmen zu erzeugen, können jedoch die Vertriebsorganisation in spezifischen Branchen nicht vollständig ersetzen. Call Center verursachen insbesondere in der Anfangsphase hohe Investitionen, die erst amortisiert werden müssen und erhöhen den vertriebs- und servicespezifischen Fixkostenanteil. Fortschreitende Technik und neues Servicedenken führen zukünftig zu einer Veränderung der heutigen Call Center-Landschaft. Der wirtschaftliche Faktor wird die Entwicklung kleiner, global vernetzter sowie virtueller Call Center in den nächsten Jahren zusätzlich verstärken.

weiterführende Literatur

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