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Interview mit Prof. Wildemann: Einkaufscontrolling im Mittelstand

[17.11.2008]

Foto: sveta / fotolia.com

Eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung von Unternehmen hängt in hohem Maße von qualifizierten und richtigen Entscheidungen im Einkauf ab. Die Entscheidungssituation wird dabei immer komplexer bei zumindest unverändertem Kostendruck, was ein fundiertes Einkaufscontrolling notwendig macht. Die Wirtschaftszeitung Financial Times Deutschland hat zu diesem Thema ein Interview mit Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Wildemann geführt, was speziell auf die Situation im deutschen Mittelstand eingeht.

Financial Times Deutschland: Wie steht es um das Thema Einkaufscontrolling im deutschen Mittelstand?

Prof. Wildemann: Die Materialkosten betragen oftmals weit mehr als 50% vom Umsatz. Sind also größter beeinflussbarer Kostenblock. Deshalb werden Instrumente zur Preisreduzierung priorisiert. Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz, da sie die große strategische Bedeutung der Beschaffung für den Unternehmenserfolg nicht beachtet. Es mangelt an gesicherten Erkenntnissen über die zentralen Erfolgsgrößen in der Beschaffung und deren Wirkungsweisen. Messkonzepte für Beschaffungserfolge haben sich in den Unternehmen noch nicht durchgesetzt. Meine Erfahrungen in der Praxis haben mir gezeigt, dass gerade im deutschen Mittelstand die Materialverfügbarkeit als primäres Ziel in der Beschaffung angesehen wird. Dies schlägt sich auch in den Controllingkonzepten im Einkauf nieder, wodurch erhebliche Potenziale verschenkt werden. Weniger als ein Drittel des deutschen Mittelstands verfügen derzeitig über ein Beschaffungscontrolling, das über die Basiskennzahlen der Preis- und Mengenentwicklung hinausgeht.

Wird die Bedeutung des Themas hinreichend erkannt?

Vielen Unternehmern ist das Potenzial im Einkauf durchaus bewusst. In der Praxis zeigt sich jedoch häufig eine organisatorische Vermengung von operativen und strategischen Aufgaben. Im Tagesgeschäft werden langfristig orientierte Controllingaktivitäten zugunsten aktueller Beschaffungsmaßnahmen und Bestellabwicklungen vernachlässigt. Damit werden mittel- und langfristig angelegte Aktivitäten und Zielsetzungen im Einkauf nicht systematisch verfolgt und dementsprechend auch nicht umgesetzt. Das Problem ist also weniger die Schaffung eines Bewusstseins für die Thematik als vielmehr die Operationalisierung einer aufbau- und ablauforganisatorischen Controllingstelle. Die Operationalisierung hat dabei unter dem Aspekt einer wertbewussten Unternehmensführung zu erfolgen, die dem Credo des "Unternehmers im Unternehmen" folgt. Dieser Aspekt wird auch auf meinem vom 17.-18. März 2009 in München stattfindenden Management Kolloquium Bestandteil der Diskussionen sein.
(www.management-kolloquium.de)

Wo liegen die größten Defizite/ Versäumnisse?

Basierend auf meinen Erfahrungen lassen sich die Defizite und Versäumnisse im Controlling von Einkaufsleistungen in der Unternehmenspraxis zu fünf Schwerpunkte verdichten:
Defizit 1: Die Aufgaben des Einkaufscontrollings werden nicht entsprechend der Bedeutung von bestehenden Erfolgspotenzialen in der Beschaffung operationalisiert.
(Fehlender Fokus auf die Wertorientierung)
Defizit 2: In der Unternehmenspraxis vorherrschende Instrumente berücksichtigen die bestehenden Unterschiede in den Abnehmer-Lieferanten-Beziehungen nur unzureichend.
(Fehlende Ausrichtung auf die spezifischen Beschaffungssituationen)
Defizit 3: Der Einsatz von Methoden zur Beschaffungsplanung, -steuerung und -kontrolle erfolgt in den Unternehmen weitestgehend unverbunden, was zu Ineffizienzen und somit zum Verfehlen gesetzter Einkaufserfolge führt.
(Fehlende Ganzheitlichkeit des Beschaffungscontrollings)
Defizit 4: Häufig lässt sich eine unzureichende Einbindung des Beschaffungscontrollings in das übergeordnete Unternehmenscontrolling feststellen, wodurch eine Kluft zwischen strategischen Plänen und beschaffungsseitig verwendeten Zielgrößen entsteht.
(Fehlende Abstimmung von Beschaffungs- und Unternehmenszielen)
Defizit 5: Insbesondere bei mittelständisch geprägten Unternehmen dominieren preisfokussierte Controllinginstrumente, die leistungswirtschaftliche Aspekte und Risikopositionen im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung (Total Cost/ Value of Ownership) zumeist nicht berücksichtigen.
(Fehlender wertorientierter Instrumenteneinsatz im Beschaffungscontrolling)

Welchen Beitrag kann das Einkaufscontrolling zum Unternehmenserfolg leisten?

"Im Einkauf liegt der Gewinn" dieses gebräuchliche Zitat trifft den "Nagel auf den Kopf". Kerngedanke dieser Sichtweise ist es, alle Beschaffungsaktivitäten wertorientiert zu gestalten und zu managen. Diesbezüglich sind auch die Instrumente und Methoden des Beschaffungscontrollings zu erweitern, um die häufig noch anzutreffende einseitige Preisorientierung zu überwinden und den Einkauf wertschöpfend einzusetzen. Die Wertorientierung des Einkaufs ergibt sich zum einen natürlich durch Effekte auf die klassischen Erfolgsfaktoren Zeit, Qualität und Kosten. Systematisches Erfolgscontrolling unterstützt dabei die Umsetzung von Maßnahmen, die die Zusammenarbeit mit Lieferanten verbessern und strategische Einkaufsprogramme zum Erfolg führen. Diese Programme haben in der Regel nicht nur Wirkungen auf die Kostenposition sondern können sich auch auf Material- und/oder Prozessqualität sowie Entwicklungs- und Produktionszeiten beziehen. Darüber hinaus bestehen Potenziale in der kooperativen Zusammenarbeit in Themenfeldern wie F&E, Innovationsmanagement und Markt, die direkten Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben. Ein auf den ganzheitlichen Unternehmenserfolg ausgerichtetes Beschaffungscontrolling berücksichtigt somit auch die Bereiche des Innovationsmanagements, des Know-how-Schutzes und der kooperativen Marktbearbeitung.

Was sind die wichtigsten Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Implementierung?

Eine interdisziplinäre Implementierung ist Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Einführung eines Einkaufscontrollings. Die strategischen Ziele des Einkaufs sind in Abhängigkeit mit den vorherrschenden internen und externen Schnittstellen zu definieren. Die Implementierung kann dabei in drei Arten erfolgen. Hierbei lassen sich die kontinuierliche Modifikation bereits bestehender Systeme, die stufenweise Einführung neuer Systeme oder die sprunghafte Implementierung der benötigten Methoden und Instrumente unterscheiden. Hinsichtlich einer stufenweisen Einführung lassen sich unterschiedliche Ausprägungen wählen. Zum einen können nach der Art der Methodenfolge prozessorientierte und mitarbeiterorientierte Vorgehensweisen unterschieden werden und zum Anderen kann eine Sequenzialisierung auf Basis einer wirkungs- oder defizitorientierte Betrachtungsweise erfolgen. Diese orientiert sich im Gegensatz zu den zuvor genannten Vorgehensweisen nicht an den primären Inhalten der zu implementierenden Methoden und Instrumente, sondern wählt die Reihenfolge entsprechend der zu erwartenden Potenzialrealisierung oder der Wichtigkeit der identifizierten Defizite.

Wo liegen häufig die Fallstricke bei der Umsetzung?

Das Einkaufscontrolling ist abhängig von der Durchgängigkeit und der Akzeptanz bei den beteiligten Akteuren. Viele Projekte zur Einführung eines integrierten Einkaufscontrollings scheitern an den Befindlichkeiten betroffener Bereiche und an der fehlenden Durchsetzungsfähigkeit. Aus einer Vielzahl von erfolgreich realisierten Industrieprojekten lässt sich feststellen, dass durch eine externe Projektbegleitung das Einkaufscontrolling nachhaltig eingeführt und erhebliche Potenziale gehoben werden können.

Weiterführende Literatur:

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