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IT- Tool zur Quantifizierung der unternehmensspezifischen Komplexitätssituation

[21.02.2011]

Foto: alphaspirit / fotolia.com
Die interne und externe Komplexität in Unternehmen wächst durch zahlreiche markt- und kundenbezogene Einflussgrößen immer weiter an. Aus der externen Komplexität im Unternehmensumfeld entsteht dabei ein internes Komplexitätsabbild im Unternehmen, das aufgrund der steigenden externen Anforderungen für viele Unternehmen nicht mehr beherrschbar ist. Um eine Aussage über die Komplexitätssituation im Unternehmen treffen zu können und einen Vergleich des Komplexitätsprofils mit anderen Unternehmen zu ermöglichen, wurde im Rahmen des Forschungsprojekts „Komplexitätsindex als Entscheidungsgrundlage für die Produktprogrammgestaltung bei KMU“ ein online- und datenbankbasiertes IT-Tool erstellt, das einen unternehmensübergreifenden, quantitativen Benchmark der externen und internen Komplexitätssituation, sowie die individuelle Ableitung von Handlungsempfehlungen ermöglicht.

Aufbau des Tools

Das IT-Tool bietet nach einem anonymisierten Login die Möglichkeit, die individuelle externe und interne Komplexitätssituation des Unternehmens zu ermitteln, in einem interaktiven Benchmarking mit anonymisierten Peergroups zu vergleichen und individuelle Methodenempfehlungen zur Reduzierung, Beherrschung und Vermeidung der Komplexität abzuleiten. Bei der Quantifizierung externer und interner Komplexitätstreiber und deren Wirkungen auf die Unternehmensprozesse, das Produktprogramm, sowie die Unternehmensstruktur ergeben sich Problemstellungen, die eine direkte Erhebung eines Komplexitätsprofils ad absurdum führen würden. Folgende Problemstellungen mussten daher im Rahmen der Erarbeitung des Quantifizierungsmodells gelöst werden:

  • Die Wahrnehmung der Komplexität ist subjektiv und individuell ausgeprägt.
  • Komplexitätstreiber besitzen keine einheitliche Einheit oder Skala.
  • Es existieren sowohl quantitative (harte) als auch qualitative (weiche) Komplexitätstreiber.
  • Die Wirkungen der Komplexitätstreiber auf das Produktprogramm, die Unternehmensprozesse und die Unternehmensstruktur sind unternehmensindividuell ausgeprägt.

Im Rahmen des Komplexitätsindex-Modells wurde ein dreistufiges Gewichtungsfaktorenmodell implementiert, das Bezug auf die individuellen Rahmenparameter des Unternehmens nimmt. Insgesamt durchläuft der Nutzer 5 Phasen der Dateneingabe. Das Tool ist so konzipiert, dass fehlende oder falsche Eingaben automatisch erkannt und dem Nutzer kenntlich gemacht werden. Einige der Angaben stellen Pflichtfelder dar, ohne die der Nutzer nicht zum nächsten Eingabeschritt gelangt, während Felder, die die Eingabe sensibler Unternehmensdaten (beispielsweise den EBIT) erfordern, auf freiwilliger Basis eingegeben werden können. Alle Daten werden anonymisiert und streng vertraulich behandelt und werden nur für den anonymisierten Benchmark genutzt.


Abbildung 1: Phasen und erforderliche Nutzereingaben des IT-Tools

Phasen und erforderliche Nutzereingaben

Die erste Phase umfasst die Ausprägungsdefinition der 10 externen Komplexitätstreiber, die durch umfassende empirische Analysen als die praxisrelevantesten Determinanten der externen Komplexität ermittelt wurden. Der Nutzer trifft in diesem Schritt eine Aussage über die Relevanz der Treiber für sein Unternehmen. Die Auswahl erfolgt auf einer 5-Stufigen Punkteskala von 1 (keine Relevanz bzw. Wirkung) bis 5 (sehr hohe Relevanz bzw. Wirkung). Um ein einheitliches Verständnis der Treiber, sowie deren Ausprägungsraum sicher zu stellen, wurden Kurzbeschreibungen für alle Treiber hinterlegt, die auch jeweils ein Beispiel für die maximale sowie die minimale Treiberausprägung beinhalten und per popup- Fenster aktiviert werden können.

In der zweiten Phase werden durch den Nutzer in analoger Weise die Ausprägungen für die 20 wichtigsten internen Komplexitätstreiber definiert.

Die dritte Phase - Der erste Gewichtungsfaktor („Strukturdaten“) - berücksichtigt die individuellen Strukturdaten des Unternehmens: Die Branche, die Unternehmensgröße, sowie die Wertschöpfungstiefe. Zusätzlich beinhaltet der erste Gewichtungsfaktor Abfragen zu Struktur- und Erfolgsdaten des Unternehmens, die in der Datenbank des IT-Tools anonymisiert gespeichert und zur Filterung der Vergleichsgruppen im Rahmen des Komplexitätsbenchmarks genutzt werden können.

Die vierte Phase - Der zweite Gewichtungsfaktor („Komplexitätsbasis“) - berücksichtigt die spezifische Struktur des Produktprogramms des Unternehmens in einem zweistufigen Portfolio. Hierzu wird durch den Nutzer im ersten 4-Felder-Unterportfolio eine Aussage über die technologische und die geometrische Komplexität der Produkte und im zweiten 4-Felder-Unterportfolio eine Aussage über die Fertigungsart und die Produktprogrammbreite getroffen. Die Ergebnisse der beiden Einzelportfolios werden dann automatisch in einem Gesamtportfolio zusammengefasst, dessen 16 Felder mit Gewichtungsfaktoren hinterlegt sind.

Die fünfte Phase - Der dritte Gewichtungsfaktor („Komplexitätsfokus“) - beinhaltet eine Wahlmöglichkeit im Bezug auf den Wirkfokus der Komplexität im Unternehmen. Dabei kann der Nutzer eine prozentuale Aufteilung der Komplexitätswirkung auf die Produkte, die Prozesse und die Unternehmensstruktur vornehmen. Die Aufteilung muss dabei so erfolgen, dass die drei Teilsummen 100% ergeben. Im Algorithmus des Programms sind bestimmten Prozentklassen Gewichtungsfaktoren zugeordnet, die wiederum mit den prozess-, produkt- und unternehmensstrukturbezogenen Komplexitätstreibern verknüpft sind.

Auswertung und Ergebnis

Nachdem der Nutzer alle 5 Eingabephasen durchlaufen hat, bietet das Tool vier Möglichkeiten der Datenauswertung. Zunächst kann das individuelle, gewichtete externe und interne Komplexitätsprofil des Unternehmens in einem Punktediagramm mit dem Durchschnittsprofil einer Peergruppe verglichen werden. Die Filterkriterien zur Selektion der Peergroup kann der Nutzer selbst bestimmen. Es besteht dabei die Möglichkeit einzelne Filter zu aktivieren, oder mehrere Filterkriterien kumulativ zu verknüpfen. Die Filterkriterien entsprechen den Strukturdaten, die im Rahmen des ersten Gewichtungsfaktors erhoben wurden (Branche, Wertschöpfungstiefe, Mitarbeiteranzahl, sowie Ebit- Marge).


Abbildung 2: Benchmark im Spinnennetzdiagramm

 

Eine weitere Darstellungs- und Vergleichsform des Komplexitätsprofils stellt der Benchmark im Spinnennetzdiagramm dar, der in analoger Weise gefiltert werden kann. Auf der höchsten Aggregationsebene der Ergebnisdarstellung kann das Unternehmen seinen individuellen externen und internen Komplexitätsindex (Ke- und Ki- Wert) mit den gefilterten Vergleichsunternehmen auf dem Komplexitätsindex-Portfolio gegenüberstellen. Der externe und interne Komplexitätsindex des Unternehmens berechnet sich als gewichtetes arithmetisches Mittel des externen bzw. internen Komplexitätstreiberprofils. Der Ke-Wert eines Unternehmens trifft eine Aussage über die Ausprägungshöhe der externen Anforderungen, die an das Unternehmen herangetragen werden. Der Ki-Wert gibt Aufschluss über die Ausprägungshöhe des Abbildes dieser externen Komplexität im Produktprogramm, den Prozessen und der Unternehmensstruktur des Unternehmens. Eine erweiterte Aussagekraft erhält man durch die Bildung des Quotienten aus den beiden Werten (Ke/Ki). Der Quotient wird als „Komplexitätsfähigkeit“ des Unternehmens bezeichnet und gibt einen Hinweis auf die Effizienz des Unternehmens in der Übersetzung der externen Anforderungen in die internen Strukturen und das resultierende Leistungsangebot. Ein Unternehmen, das eine geringe Komplexitätsfähigkeit aufweist (<1), bildet externe Anforderungen weniger effizient ab, als ein Unternehmen mit einer hohen Komplexitätsfähigkeit (>1).

Als weitere Ergebnisgröße können entsprechend der individuellen Komplexitätssituation spezifische Methodenempfehlungen in Form von frei zum download zur Verfügung stehenden Steckbriefen abgeleitet werden. Die Methodenauswahl erfolgt mittels eines im Algorithmus des Tools hinterlegten, mehrstufigen Filtersystems, das auf die Ausprägung der gewichteten Komplexitätstreiber, sowie auf den Komplexitätsfokus des Unternehmens zurückgreift. Zudem kann eine manuelle Filterung der Methoden durch den Nutzer entsprechend der Komplexitätsstrategie (kurzfristig, mittelfristig oder langfristig) erfolgen.

Weiterführende Literatur

  • Komplexitätsindex
    Entscheidungsgrundlage für die Produktprogrammgestaltung bei KMU
  • Komplexitätsmanagement
    Komplexitätsmanagement in Vertrieb, Beschaffung, Produkt, Entwicklung und Produktion
  • Variantenmanagement
    Leitfaden zur Komplexitätsreduzierung, Komplexitätsabeherrschung und Komplexitätsvermeidung
  • Produktordnungssysteme
    Leitfaden zur Standardisierung und Individualisierung des Produktprogramms durch intelligente Plattformstrategien
  • Produktklinik
    Wertgestaltung von Produkten und Prozessen - Methoden und Fallbeispiele

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