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Lohnen noch Innovationen?

[26.10.2006]

Foto: Marco2811 / fotolia.com
Nicht nur ein strategischer Einsatz der Forschungsmittel sondern auch ein gründliches Schutzrechtemanagement wird gerade für mittelständische Unternehmen immer bedeutsamer. Das Fachmagazin ProFirma führte dazu ein Interview mit Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Wildemann, über mittelständische Innovationskultur, den Nutzen strategisch gelenkter Entwicklungen und die Stärken der Kleinen im Wettstreit der Ideen.

ProFirma: Nachahmer, stellen Sie selbst fest, sind wirtschaftlich genauso erfolgreich wie innovative Unternehmen. Warum dann überhaupt Geld in F&E stecken?

Prof. Wildemann: Einer muss immer den ersten Schritt machen - Technologierführer können unter Umständen mehr Geld verdienen als Nachahmer. Die Kunst als Technologieführer ist es dabei, durch konstruktive und rechtliche Schutzmaßnahmen Nachahmungen im Produktionsprozess zu verhindern. Die Innovationskulturen von Nachahmern und Technologieführern sind grundverschieden. Es gibt nur wenige erfolgreiche Beispiele, in denen es gelungen ist, zwischen den Strategien zu wechseln. Daher wird ein Technologieführer vor allem seinen Erfolg in der Technologieführerschaft suchen müssen.

Sind Nachahmer-Produkte eine ideale Nische für KMU? Worauf ist in diesem Metier zu achten? Reicht die 1:1-Kopie, oder brauchen Nachahmungen sinnvolle Zusatzeigenschaften, Mikro-Innovationen, um am Markt bestehen zu können?

Für KMU ist es wichtig, sich bei Nachahmungen fremder Produkte im rechtlich grünen Bereich zu bewegen. Ein Rechtstreit um eine Patentverletzung kann schnell die Existenz bedrohen. Man muss auch bei eigenen Entwicklungen beachten, dass nicht unbewusst fremde Patente verletzt werden.

Nachahmerprodukte innerhalb einer Nische sind natürlich nicht immer sinnvoll, meist bietet die Nische nur Platz für wenige Anbieter. Nachahmer behaupten sich meistens über den günstigen Preis im Markt.

Hier liegt aber eine Gefahr: zukünftig wird es angesichts von Lohnkostenvorteilen im Ausland schwerer, sich mit 1:1 Nachahmungen im Markt zu behaupten. Daher ist meist eine Strategie der Zusatzinnovationen eher mit Erfolg verbunden.

In der Anzahl jährlich angemeldeter Patente zählt Deutschland zu den weltweit führenden Nationen. Ausreichend Ideen gibt es also. Woran hapert es am Innovationsstandort Deutschland? Welches Bild geben KMU in diesem Szenario ab?

Nicht nur in Deutschland hapert es immer noch in der Umsetzung der Ideen in marktfähige Produkte. Unternehmer müssen sich auf ihre Grundwerte besinnen und Wagnisse mit neuen Produkten eingehen. Hier können wir noch einiges lernen. Ganz entscheidend ist auch ein umfassender Know-how Schutz. Die Bedrohung durch Industrie- und Konkurrenzspionage wird leider immer noch unterschätzt. Was helfen die besten Ideen, wenn nur Andere damit Geld verdienen?

Sie fordern einen strategischen Mitteleinsatz, um Innovationskraft zu stärken. Heißt das, dass F&E-Gelder bislang vornehmlich blind verpulvert werden? Welche Grundgedanken bestimmen einen strategischen Mitteleinsatz?

Blind ist ein gutes Stichwort. F&E-Investitionen werden immer zu einem gewissen Grad "blind" erfolgen. Für ein nachhaltiges Wachstum ist eine Verteilung der Mittel ratsam. Empirisch gesehen ist eine Aufteilung der Mittel in 5% Basisinnovationen, 30% technologiegetriebene Innovationen (technology push), 30% marktgetriebene Innovationen (market pull) und 35% in Produkt- und Programmverbesserungen sinnvoll. Hier gilt es einen optimalen Mix für jedes Unternehmen strategisch festzulegen und einzuhalten.

Was kostet es, innovativ zu sein?

Studien konnten keine Korrelation zwischen F&E-Ausgaben und Innovationserfolg nachweisen. Natürlich gibt es eine untere Schranke, unter der F&E Ausgaben keine Wirkung mehr haben. Aber es ist deutlich, dass es nicht allein auf die Höhe der F&E-Ausgaben ankommt. Innovationskultur und gutes F&E-Management sind vielmehr die wesentlichen Treiber.

Was hat es mit der Idee der "Produktklinik" auf sich: Rumdoktorn an Produkten? Sind Produktkliniken und Wissenszentren auch auf Ebene der KMU vorstellbar?

Das Konzept der Produktklinik als Lernort besteht darin, dass eigene Produkte, Prozesse und Produktideen, aufbauend auf Markt-, Wettbewerbs- und Kundenbenchmarking, direkt verglichen werden. Wo immer Produkte in kurzen Zyklen erneuert werden müssen, wo immer es auf eine konsequente Kundenorientierung ankommt, sind die Innovationsmanager eines Unternehmens stark gefordert. Die Entwicklungs-, Durchlauf- und Lieferzeiten müssen deutlich reduziert und die vorhandenen Varianten effizient gemanagt werden. Die üblichen Konzepte reichen für einen Marktvorsprung kaum aus. Kreativitäts- und Innovationsmanagement ersetzen die Wertanalyse durch Wertgestaltung für den Kunden.  Produktkliniken sind selbstverständlich auch für KMU einsetzbar, um bestehende Produkte zu verbessern und das dabei gewonnene Wissen systematisch in neue Produktgenerationen einfließen zu lassen.

Auf welchen Feldern - neben Produkten - sehen Sie den größten Nachholbedarf resp. die größten Chancen von KMU mit Blick auf erfolgreiche Innovationen (z.B. Projekte, Prozesse, Zusammenspiel mit Lieferanten)?

Hier haben Studien gezeigt, dass Nachholbedarf auf vielen Fronten besteht: Prozesse und Organisation, Ideenfindung, Mitarbeiterqualifikation, Innovationskultur sind nur einige Beispiele. Um gezielt die Verbesserungspotenziale eines jeden Unternehmens zu identifizieren haben wir ein kostenloses Innovationsaudit ins Internet gestellt. Durch eine Selbstbewertung und ein Benchmarking werden Verbesserungspotenziale sofort online deutlich.

Wie wecke ich als KMU-Unternehmer meinen eigenen Erfindungsgeist und den der Belegschaft? Wie erhalte ich ihn am Leben? Ist jeder Mitarbeiter ein Ideengeber in spe?

Eine moderne Führungskultur schätzt jeden Mitarbeiter als Ideenquelle. Jeder Mitarbeiter wird dazu angehalten, eigenen Unternehmergeist zu entwickeln. Zur Ideenfindung an sich gibt es die bekannten Kreativitätstechniken. Man weiß aber, dass die meisten Ideen zu Hause in der Freizeit entstehen und nicht am Arbeitsplatz. Wichtig ist, dass auch diese Ideen im Unternehmen ankommen und aufgegriffen werden. Dafür sind ein systematisches Vorschlagswesen und kontinuierliche Verbesserungsprozesse notwendig. Motivation ist hierbei das A und O - Grundlage dafür ist eine schnelle Bearbeitung der Vorschläge und Rückmeldung an die Mitarbeiter und eine regelmäßige Umsetzung der Vorschläge.

Welches innerbetriebliche Klima ist der Innovationskraft in der Regel abträglich?

Abträglich ist sicherlich eine Kultur in der nichts bewegt werden kann, die nicht fehlertolerant ist. Starre Hierarchien, unklare Prozesse und komplizierte, Kommunikationswege behindern Innovationen. Wenn Mitarbeiter bereits innerlich gekündigt haben werden diese kaum noch Innovationen hervorbringen.

Wer Innovationen sucht, begibt sich auch in Gefahr - z.B. zu spät oder zu früh zu kommen, zu teuer zu sein, am Markt oder an der Industrie vorbei zu forschen. Fallen Ihnen dafür warnende Beispiele ein? Wie entgehen KMU diesem Schicksal?

Ein Beispiel ist sicherlich der Apple Newton, ein PDA der seiner Zeit voraus war. Wenige Jahre später kam Palm mit einem ähnlichen Produkt auf den Markt und feierte große Erfolge. KMU können solche Flops nicht so einfach verkraften. KMU haben aber einen Vorteil: häufig sind sie näher am Kunden und können schneller auf Nachfrageschwankungen und Technologiesprünge reagieren. Wichtig ist ständig die Augen und Ohren offen zu halten und auch selbst an Grundlagenentwicklungen interessiert zu sein.

Kann sich ein Unternehmen zu Tode erfinden? Plädieren Sie deshalb dafür, Prämien auch für den Abbruch von Forschungsprojekten auszuloben?

Es geht darum, Innovationen zu schaffen, d.h. neue Produkte am Markt erfolgreich zu positionieren und nicht nur Ideen und Konzepte zu generieren, denn Innovationen sind durch den Markt bewertete Ideen. Sie haben recht, dass hier in der deutschen Innovationskultur noch Nachholbedarf besteht. Manchmal gehört viel mehr Mut dazu, einen sauberen Schnitt zu machen und Projekte bei ausbleibendem Fortschritt abzubrechen, als diese künstlich am Leben zu halten und weiter Geld ohne Aussicht auf Erfolg auszugeben. Es ist wichtig, in einem Abbruch eine Chance für einen neuen Anfang in einem anderen Projekt zu sehen. In der Forschung und Entwicklung wird es immer Entwicklungszweige geben, die es nicht lohnt weiterzuverfolgen - zumindest unter aktuellen Rahmenbedingungen.

Sie merken an, dass auch das Weglassen, die Vermeidung von Überflüssigem, innovativ sein kann. Wie meinen Sie das?

Over-Engineering ist besonders im deutschen Kulturraum weit verbreitet. Damit meint man, dass das Produkt technisch zu aufwendige Lösungen oder unnötige Funktionalitäten beinhaltet, die vom Kunden gar nicht gewünscht werden oder die Anforderungen übererfüllen. Beides kostet sehr viel Geld und bringt dem Unternehmen nicht mehr Kunden. Für die Entwicklung auf den Kundennutzen abgestimmter Produkte haben wir ein Konzept auf Basis der Conjoint-Analyse entwickelt, mit der Einsparungen von mehr als 20 Prozent realisiert wurden. Wenn das nicht innovativ ist.

Alte Ideen sind manchmal besser als gar keine. Bieten ungenutzte Ideen von gestern Potentiale für KMU?

Natürlich. Eine Idee ist nur reif für eine Innovation, wenn Sie zur richtigen Zeit kommt. Viele Ideen der Vergangenheit sind durch moderne Materialien oder Fertigungsverfahren erst heute wirtschaftlich verwertbar. Daher ist ein nachhaltiges Ideenmanagement unverzichtbar. Möglich ist auch das Aufgreifen alter Lösungen und Übertragen in modernen Kontext. Beispielsweise wurde die Idee, Schiffe mit Segeln anzutreiben, vom Hamburger Unternehmen Skysail auf moderne Tankschiffe übertragen.

Innovationen lassen sich als Patente schützen. Ist das auf der Ebene der KMU überhaupt nötig? In welchen Fällen? Gibt es eine Faustregel? Und braucht es dafür dann deutschen, europäischen oder sogar weltweiten Patentschutz?

KMU benötigen ein effizientes Schutzrechtmanagement. Wichtig dabei ist auch der rechtliche Schutz vor allem auf den Heimatmärkten der bestehenden und möglichen Wettbewerber. Aber Patentschutz allein ist angesichts aktueller Bedrohungen durch Produktpiraterie nicht ausreichend - in Betracht gezogen müssen auch z.B. Gebauchs- und Geschmacksmuster oder Markenschutz, welche meist schneller durchsetzbar sind. Jedoch ist die Durchsetzung von Intellectual Property Ansprüchen in China oder bereits in Italien für KMU meist zu kostspielig und von wenig Erfolg gekrönt. Daher ist ein integriertes Know-how Schutzkonzept, welches alle Unternehmensbereiche umfasst, unabdingbar.

Sie heben die Bedeutung der Konkurrenzbeobachtung hervor. Wie kann das der Bäcker von nebenan oder der Elektroinstallateur um die Ecke anstellen?

Kleinunternehmer wissen meist am besten über Ihre Konkurrenz bescheid - Sie bekommen direktes Feedback von ihren Kunden. Der Bäcker sollte regelmäßig Testkäufe bei seinen Mitbewerbern unternehmen und versuchen Angebotspalette, Preisgestaltung, Qualität und die Präsentation der Produkte zu vergleichen. Dies ist eine legitime Art des Lernens und trägt zum fairen Wettbewerb bei.

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