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Produktionssteuerung mit KANBAN: Ein Interview mit Professor Horst Wildemann

[06.11.2006]

Foto: Mimi Potter / fotolia.com
Die effektive Steuerung von Produktionsprozessen bietet in der heutigen Zeit noch hohe Einsparpotenziale. KANBAN stellt in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit dar, diese Einsparpotenziale zu nutzen. Was sich genau hinter KANBAN verbirgt, dazu hat die Deutsch-Ungarische IHK ein Interview mit Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Wildemann geführt.

Herr Wildemann, können sie kurz die Vorteile des KANBAN-Prinzips erläutern und erklären inwieweit Unternehmen davon profitieren?

KANBAN ist eine effektive Methode der Steuerung von Produktionsprozessen. Sie ermöglicht eine dezentrale Produktionssteuerung, die sich ausschließlich am Kundenbedarf orientiert. Die oftmals zentral gesteuerte Disposition kann so zu großen Teilen in kleinen dezentralen Regelkreisen organisiert werden. Eine dezentrale Organisation wiederkehrender Produktionsprozesse stellt kurze Reaktionszeiten und somit einen hohen Grad an Flexibilität sicher. Durch die Einführung von KANBAN konnten wir in einer Vielzahl von Projekten in unterschiedlichen Branchen die Bestände um bis zu 50 % reduzieren. Durch die Produktionssteuerung nach dem Holprinzip konnten die Durchlaufzeiten um bis zu 40 % bei gleichzeitiger Steigerung der Kapazitätsauslastung und Liefertermintreue reduziert werden. Die Erfolge zeigen, wie bedeutend KANBAN für Unternehmen ist, die auf kürzere Produktlebenszyklen und einen steigenden Grad der Individualisierung flexibel reagieren müssen.

Welche Grundvoraussetzungen muss ein Unternehmen mitbringen, damit es KANBAN einführen kann?

KANBAN ist in der einfachsten Form für Artikel geeignet, die in großen Mengen verbraucht werden und über eine hohe Verbrauchstetigkeit verfügen. Es kann also überall dort eingesetzt werden, wo ein stetiger Materialfluss vorherrscht, vom Einkauf über Produktion bis hin zum Vertrieb. Da ein übergreifendes KANBAN immer auch eine Reorganisation von einer zentralen Steuerung zu einer dezentralen Prozessorganisation mit sich bringt, müssen die Mitarbeiter und Fachabteilungen bei der Umsetzung eingebunden werden. Eine erfolgreiche Umsetzung ist dann möglich, wenn Mitarbeiter und Unternehmen grundsätzlich bereit sind sich weiterzuentwickeln und neue Prozesse voranzutreiben.

Welche Branchen sind prädestiniert für KANBAN? Welche weniger?

KANBAN ist kein Konzept, das auf bestimmte Branchen reduziert werden kann. Ausschlaggebende Elemente der Umsetzung sind vielmehr die Gestaltung der Prozesse und die Beschaffenheit der Materialien. Durch die Reorganisation der Prozesse und eine Ausrichtung der Fertigung auf Kundenbedürfnisse kann KANBAN in den unterschiedlichsten Branchen eingesetzt werden. Ein Beispiel für den branchenweiten Einsatz ist McDonalds. KANBAN, das ursprünglich ein Konzept zu Steuerung der Produktionsprozesse in der Automobilindustrie war, wird heute von der Fastfood Kette optimal eingesetzt, um eine bedarfsgerechte Produktion bei kurzen Wartezeiten zu gewährleisten.

Welche anderen Konzepte zur Produktionsoptimierung können oder sollten Unternehmen neben KANBAN noch nutzen?

Moderne Produktionssysteme verfügen über eine Vielzahl von Methoden. Entscheidend ist die Wahl des optimalen Methodenmix. Bei der Bewertung einzelner Methoden in ihrer Wirksamkeit muss eine unternehmensspezifische Vorgehensweise gewählt werden. Ein effektiver Methodenmix weist Methoden aus den Bereichen des Materialflusssystems, des Bearbeitungssystems, des Personalsystems, des Planungs- und Steuerungssystems und des Qualitätssystems auf. KANBAN ist nur eine Methode des Materialflusssystems, daneben sind PPS Konzepte, wie z.B. OPT (Otpimized Production Technology), MRP II (Manufacturing Resource Planing) oder BoA (Belastungsorientierte Auftragsfreigabe) zu nennen. Moderne PPS-Systeme überwinden die Schnittstelle der Push-Steuerung zur Pull-Steuerung. Im Rahmen des Bearbeitungssystems sind Methoden wie Poka Yoke, SMED oder TPM bekannt. Die Methoden des Personalsystems beziehen sich auf das Entgeltsystem oder die zielgerichtete Mitarbeiterführung. Methoden des Planungs- und Steuerungssystems wie die Belastungsorientierte Auftragsfreigabe oder die Engpasssteuerung ermöglichen eine gesteigerte Prozesssicherheit. Schließlich gewährleisten Methoden des Qualitätssystems das schnelle Erkennen von Fehlern im Prozess und ein Null-Fehler-Programm. Das Zusammenspiel der Methoden steigert die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.

Wie viele Unternehmen arbeiten schätzungsweise mit dem KANBAN-System?

Fast alle Unternehmen mit einem stetigen Materialfluss arbeiten mit der einen oder anderen Form des KANBAN. Bei KANBAN werden mehrere Alternativen unterschieden darunter zählen das Sicht- und das Behälter-KANBAN, KANBAN-Karten oder E-KANBAN. Diese kommen in unterschiedlichen Bereichen zur Anwendung, wie z.B. dem Produktions-, Transport- oder Lieferanten-KANBAN.

Das Lieferanten-KANBAN hat eine besonders hohe Bedeutung und wird von über 95 % der Unternehmen im C-Teilemanagement eingesetzt. C-Teil-Lieferanten nutzen ganz bewusst die Vorteile von KANBAN, durch das ihre Prozesskosten aber auch die des Kunden auf ein Minimum reduziert werden können. Somit entsteht eine win-win-Situation.

Anwendungen wie das Produktions- oder Transport-KANBAN dagegen weisen einen erheblich geringeren Anwendungsgrad bei Unternehmen auf während in einzelnen Branchen wie z.B. der Automobilindustrie mit einem hohen Flussfertigungsgrad das Produktions- oder Transport-KANBAN durchgängig eingesetzt wird und in 90 - 95 % der Unternehmen seine Anwendung findet, wird es im Maschinen- und Anlagenbau nicht durchgängig eingesetzt. Dies betrifft circa 50 % der Unternehmen in der Produktion. In anderen Branchen wie der Baubranche, der Chemieindustrie oder sogar der Gastronomie wird Transport-KANBAN derzeit nur in wenigen Ausnahmen eingesetzt. Hier besteht noch erhebliches Potenzial für KANBAN.

Ist das KANBAN-System am Ende seines Entwicklungspotenzials angelangt oder sind in näherer Zukunft entscheidende Veränderungen und Neuerungen in diesem Bereich zu erwarten?

KANBAN ist als Idee keineswegs am Ende seines Entwicklungspotenzials angelangt. Auch bei der Weiterentwicklung von Produktionssystemen wird das KANBAN System in Zukunft eine tragende Rolle übernehmen. Die Potenziale von KANBAN sind im Zusammenhang mit einer kundenorientierten Produktion zu sehen. Sie äußern sich dann zum Beispiel in der Einführung der Losgröße 1, mit der Umsetzung einer Flussfertigung und einer Harmonisierung der Produktionsquerschnitte und in der Optimierung der Maschinenverfügbarkeit durch kurze Rüstzeiten, hohe Auslastung und geringe Stillstandzeiten. Schließlich kann das Ziel einer Null-Fehler-Kultur erreicht werden.

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