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Steigende Variantenvielfalt managen

[15.06.1999]

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Die zunehmende Differenzierung von Kundenwünschen erfordert einen ständigen Ausbau des angebotenen Variantenspektrums. In der Regel nimmt die Variantenanzahl gegenüber dem Mengenwachstum überproportional zu. Die Anzahl der Varianten pro Produkt stehen somit synonym für die Kostensteigerungsfaktoren Komplexität und Koordinationskosten. Wie kann die steigende Variantenvielfalt besser gemanagt werden?

Für bestehende Produkte sind die Aufwendungen für Produkt- und Prozessentwicklung bereits geleistet und die Werkzeugkosten bereits angefallen. Es werden daher bei der Generierung einer neuen Variante im Vertrieb nur deren Zusatzaufwendungen dem zusätzlichen Deckungsbeitrag gegenübergestellt. Häufig wird der zusätzliche Deckungsbeitrag mit der Hoffnung, eine größere Zahl der neuen Variante zu verkaufen, ermittelt. Die Komplexitätskosten in den administrativen und wertschöpfenden Prozessen werden bei der Betrachtung nicht berücksichtigt, da sie nur mit sehr großem Aufwand zu erfassen sind. Auch ‘Strafkosten‘, die einer neuen Variante zugerechnet werden, helfen nicht. Aufgrund dieses Dilemmas ist die Komplexitätsreduzierung auf Endproduktebene bei bestehenden Produkten oft wenig erfolgreich. Ziel muss es daher sein, die vorhandene Komplexität bei den bestehenden Produkten zu beherrschen und als wichtigste, aber auch schwierigste Strategie, bei neuen Produkten bereits im Produktentstehungsprozess Komplexität zu vermeiden. Die Basis hierzu bilden Produktgestaltung und Produktaufbau, vor allem auf der Ebene von Baugruppen und Komponenten. Ein sehr erfolgversprechender Ansatz zur Vermeidung von Komplexität ist die vor allem in der Automobilindustrie zum Einsatz kommende Plattformstrategie. Plattformstrategien können hier definiert werden als Gleichteilkonzepte, die modell­reihen­übergreifend die Verwendung identischer Teile, Komponenten und Module vorsehen und damit zu einer signifikanten Verringerung der Variantenvielfalt und Komplexität führen. Die Kosteneffekte, die sich aus der Plattformstrategie ergeben, sollen am Beispiel eines Außenspiegels dargestellt werden. Für den Golf und den alten Passat gab es fünf verschiedene Varianten. Für den neuen Golf und den neuen Passat wird nur noch eine Version verwendet. Hierdurch konnten die Herstellkosten des Außenspiegels beim Golf um 25% und beim Passat sogar um rund 45% reduziert werden, obwohl der neue Außenspiegel hochwertiger ist, als alle alten. Somit kann die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte erhöht werden und zusätzlich ein Mehrwert für den Kunden geschaffen werden. Eine wichtige Rolle bei der präventiven Vermeidung von Komplexität beim Produktaufbau bilden neuen Produktordnungssysteme. Hierbei erfolgt die Strukturierung der Produkte über die Zuordnung von Produktmerkmalen zu Eigenschaftsklassen aus Sicht des Marktes oder der Anwender (vgl. Abb. 2). Es können kommerzielle, technische, konditionale, ästhetische, soziale und Eigenschaften unterschieden werden. Produkte, die sich in Bezug auf diese Eigenschaftsklassen ähnlich sind, werden zu einer Gruppe zusammengefasst und entsprechend dem spezifischen Profil behandelt. Zur Analyse und Verbesserung kommen je nach Ausprägungen der Eigenschaftsklassen der gebildeten Gruppen unterschiedliche Methoden zum Einsatz. Wertanalyse, Simultaneous Engineering oder Make-or-Buy-Entscheidungen dienen zur Optimierung der kommerziellen Eigenschaften, Fehlermöglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA) kann zur Verbesserung der Betriebseigenschaften und die Anmutsoptimierung für ästhetische Eigenschaften zum Einsatz kommen. Ein weiterer wichtiger Ansatz zur Reduzierung von Komplexität bei Produktaufbau und Produktgestaltung ist der Einsatz des Lifecycle Engineering. Dabei handelt es sich um eine Reduktion der Variantenvielfalt auf Produktionsstufen unterhalb der Fertigerzeugnisebene, die durch den Vertrieb definiert worden ist. Hierbei sind simultane Auswirkungen von Variantenreduktionen im Halbzeugbereich auf die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und umgekehrt denkbar. Durch die weitgehende Normung von Einzelteilen kann deren Gesamtzahl verringert werden. Hierbei sollte es Ziel sein, die Teile so zu gestalten, dass sie sich in möglichst vielen Erzeugnis- und Baugruppenvarianten verwenden lassen. Im Einzelfall bleibt zu entscheiden, inwieweit der Nutzen der Normung höher ist, als es die entstehenden Kosten schätzungsweise sind. Dieser Fall tritt beispielsweise dann ein, wenn durch die Normung Teile überdimensioniert werden und hierdurch dem Nutzen der Vereinheitlichung erhöhte Materialkosten gegenüberstehen. Die Standardisierung ist vor allem auf die Vereinheitlichung von Einzelteilen und Baugruppen ausgerichtet. Es geht darum, die Produkt- und Prozesskomplexität zu reduzieren, wobei Standardisierungsmaßnahmen so auszulegen sind, dass Varianten aus einer möglichst geringen Anzahl unterschiedlicher variantenbestimmender Bausteine kombinierbar sind - bei gleichzeitig höchstmöglicher Anzahl vereinheitlichter und normierter Komponenten. Die hohe Wieder­verwendbarkeit von Teilen und Baugruppen wird ergänzend durch den Einsatz verschiedener Strukturtypen unterstützt. Hierzu gehört das Baukastenprinzip, nach dem an einem Grundkörper in verschiedenen Produktionsstufen unterschiedliche Teile angebaut werden können. Verwendet man Anbauteile, die unterschiedliche Funktionen wahrnehmen, jedoch über einheitliche Schnittstellen verfügen, kann ein modularer Produktaufbau realisiert werden. Dieser ermöglicht eine hohe Kombinierbarkeit von Teilen, die beispielsweise in der Elektronikindustrie eine hohe Anwendung findet. Der Aufbau modularer Produktstrukturen ermöglicht darüber hinaus eine Verschiebung des Variantenbestimmungspunktes und der Bevorratungsebene an das Ende der Wertschöpfungskette. Eine hohe Verflechtung der Baugruppen ohne modulare Bauweise zwingt bei der Bildung einer Variante zu größeren Veränderungen vieler Komponenten. Die Weiterführung des Modu­larisierungskonzeptes mündet in der Bildung von Systemen. Ein System ist eine funktionale Einheit, die auf eine Hauptfunktion ausgerichtet ist und deren Elemente in Relation zueinander stehen, physisch aber nicht unbedingt zusammenhängen (z. B. Soundsystem im Kraftfahrzeug, bestehend aus Radio, Lautsprechern, Antenne und Kabelsatz).

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