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Vertrauen und Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen - Wege zur Krisenbewältigung

[22.05.2009]

Foto: WavebreakmediaMicro / fotolia.com
Der in den vergangenen Monaten von renommierten Bankern und Managern am häufigsten benutzte Satz ist eine freche Ausrede und noch dazu nicht besonders intelligent. "Aus heutiger Sicht hätten wir das nicht gemacht", so der Einstieg in die Ausrede, "aber aus damaliger Perspektive war es kein Fehler." So können sich Schüler vielleicht noch herausreden. Für einen hoch bezahlten Entscheider aber ist diese Formel ein Offenbarungseid. Denn: "Fehler wurden gemacht, aber eigentlich waren es keine" ist und bleibt Unsinn. Die Krise bei Opel, der Schuldenberg bei der Schäffler-Gruppe und die Existenznot der Großbanken sind nicht zwangsläufig eingetreten. In allen Fällen ist die Ursache in mehr oder weniger groben Fehlern des Managements zu suchen. Auch mangelhafte gesetzgeberische Vorgaben sind nicht die wahre Ursache.

Ursachen für die Finanzkrise

Die Täter sind in jedem Fall Entscheider, die unter Missachtung einfachster Regeln Fehler gemacht haben. Im Fall der Banken ist das Tragische, dass - bis auf wenige Ausnahmen bei den Privatbanken - wie bei den Lemmingen der gleiche Unsinn von allen mitgemacht wurde. Viele haben wohl die Schumpetersche Begriffsdefinition der schöpferischen Zerstörung fehlinterpretiert. Das eigentlich Bedenkliche an den Ausreden ist die dahinter stehende Arroganz, eigene Fehler nicht mit aller Deutlichkeit zu benennen. Denn erst aus der Einsicht kann Besserung entstehen. Und die brauchen wir.

Daran schließt sich die Frage an, wer denn nun die Schäden aus der Vergangenheit reparieren und mit einem glaubwürdigen Neuanfang beginnen soll. Sollen die weitermachen, die alles verursacht haben? Welche Manager werden für eine bessere Zukunft gebraucht? Wie sollen die besseren Organisationsformen aussehen? Wie sieht gutes Management nach den Erfahrungen der vergangenen Monate aus?

Die Vorgänge der vergangenen Monate haben das bestehende System des freien Unternehmertums nachhaltig in Frage gestellt. Die lauter werdenden Forderungen nach Verstaatlichungen könnten eine Entwicklung einleiten, die uns in das vergangene Jahrhundert zurückwerfen würde.

Es zeichnet sich ab, dass in den nächsten Jahren die Entscheidung für einen verantwortungsvollen Kapitalismus oder das Ende desselben fallen wird. Wie die Antwort ausfällt, wissen wir nicht. Aber der einzige Weg zu einer guten Lösung führt über die Revitalisierung des Unternehmertums mit sozialer Verantwortung. Die Kultur der Unternehmen muss in dem gleichen Maß bewusst sozial verantwortlich sein, in dem sie auf Gewinn ausgerichtet ist. Das gilt als eherner Grundsatz.

Bei jedem Manager muss die Geldgier aus dem Regal der Kulturgüter wieder gestrichen werden. Das Selbstverständnis wird von der Verantwortung für das Unternehmen, für das Gemeinwesen und für die Mitarbeiter geprägt. Ohne diese grundsätzliche Neuausrichtung – weg von der individuellen Jagd nach Geld, hin zur Verantwortung für Unternehmen und Gesellschaft – wird der Kapitalismus in der Demokratie nicht mehr lang möglich sein.

Deutschland ist ein glückliches Land

Die schlechten Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit dürfen nicht den Blick darauf verstellen, dass gerade in Deutschland das positive Unternehmertum noch immer sehr weit verbreitet ist. Die deutsche Wirtschaft besteht eben nicht nur aus ein paar Großbanken und Konzernen, sondern zum größeren Teil aus mittelständischen Firmen. Diese Unternehmen pflegen oft einen patriarchalischen Stil und werden von Familien beherrscht. Solche Unternehmen dehnen den Begriff Familie auch auf Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten aus. Dies führt zwangsläufig zu einer langfristigen Perspektive. Ihr großer Vorteil liegt auch darin, dass Haftung, Verantwortung und Entscheidung zusammengeblieben sind.

Der persönlich haftende Gesellschafter einer Privatbank wird niemals ein paar Milliarden Euro in strukturierte Schuldverschreibungen investieren, weil er nicht für etwas haften kann, bei dem die Risiken nicht mehr nachvollziehbar sind. Ebenso bekommt der mittelständische Industrielle jede Fehlentscheidung postwendend und in voller Härte persönlich zu spüren. Er geht deshalb meist nur Risiken ein, die überschaubar und verkraftbar sind.

Im Gegensatz zum mittelständischen Konzept steht das der anonymen Kapitalgesellschaft. Im Wesentlichen sind das GmbHs und die Aktiengesellschaften. Sie haben den gravierenden Nachteil, dass Haftung und Entscheidung nicht mehr in einer Hand liegen. Der Entscheider entscheidet und wenn es schief geht, haftet eine meist anonyme Gemeinschaft von Aktionären für dessen Fehler.

Bei staatseigenen Firmen haben letztendlich die Steuerzahler die Zwangshaftung. Schon allein aus diesem Grund sind staatliche Unternehmen der letzte Ausweg. Bei Aktiengesellschaft überwiegen aber dennoch jüngst die Vorteile den Haftungsnachteil. Es ist aber eindeutig, dass im Gefolge der Globalisierung die Selbstherrlichkeit des Managements in einigen Aktiengesellschaften groteske Formen annahm.

Das äußert sich in der Höhe der Vergütung, zusätzlichen Boni, astronomischen Abfindungen und größenwahnsinnigen Aktionen. Derlei Auswüchse lassen sich relativ einfach beheben. Dabei ist weniger an nicht kontrollierbare Begrenzungen von Gehältern durch den Gesetzgeber zu denken. Im Vordergrund muss eine bessere Kontrolle der Vorstände durch unabhängige Gremien stehen. In der heutigen Form ist der Aufsichtsrat eine Verzierung ohne Machtbefugnisse.

Der Mangel an Kontrolle der Vorstände durch eine übergeordnete Instanz ist die eigentliche Ursache für die Auswüchse der vergangenen Monate. Schuld daran tragen eindeutig die Politiker. Kontrolle ist ein wichtiges Stichwort: Ohne eine lückenlose und umfassende Kontrolle wird in der Zukunft kein globalisiertes Unternehmen mehr auskommen. Der Gesetzgeber muss endlich ein Aktiengesetz formulieren, das die Kontrolle des Vorstandes durch den Aufsichtsrat auch zu einer realen Kontrolle macht. In dem bisherigen System tut einer dem anderen nicht weh und beide bezahlen sich großzügig – ein langjähriger und übler Missstand.

Der Fisch stinkt vom Kopf

In deutschen Großunternehmen werden für schlechte Ergebnisse oder moralisch fragwürdige Vorgänge stets die unteren Ränge des Managements zur Verantwortung gezogen. So etwa bei Abhöraktionen oder Schmiergeldzahlungen. Das ist völlig falsch und für die Kultur des Unternehmens tödlich.

Der Vorstand muss dafür sorgen, dass solche Fälle nicht eintreten. Ist dies doch der Fall, hat er zwangsläufig die Verantwortung zu tragen. Gleichwohl, ob er davon wusste oder nicht. In keinem Gerichtsverfahren und bei keinem Verkehrsverstoß kommt der Bürger damit durch, dass er nichts wusste. Bei hoch bezahlten Managern scheint es im Gehalt inbegriffen zu sein, im Zweifel nichts zu wissen. Das Abschieben der Verantwortung für Misserfolge nach unten führt zum Kannibalismus auf den unteren Rängen. Jeder kümmert sich nur um seinen Vorteil. Jeder stellt sich selbst in den Vordergrund. Das Gemeinschaftsdenken verkümmert und das Unternehmen wird immer erfolgloser. Dieser Weg führt in die falsche Richtung.

Verantwortung muss wieder zu Verantwortung werden. Eine positive Unternehmenskultur mit einem nicht auf egoistischer Denkweise beruhenden Verhalten kann nur entstehen, wenn die Führung das auch vorlebt. Dieser Zusammenhang ist die Grundlage für eine Erneuerung des Unternehmertums im Unternehmen. Renditedenken ist nicht unternehmerisch.

Schon in der Vergangenheit war es immer wieder verblüffend, wie unterschiedlich im Management die Wirklichkeit wahrgenommen wurde. In Großunternehmen wird gerne über Rendite und die Höhe der Dividenden gesprochen. In vielen Fällen sind finanzielle Kennzahlen vollkommen in den Vordergrund gerückt. Der Unternehmenszweck kommt unter „ferner liefen“. Wenn dann auch noch in Vierteljahren gerechnet wird, gerät das eigentliche unternehmerische Handeln vollkommen in Vergessenheit. Es findet eine Pervertierung des Unternehmertums statt. Dieser Vorgang wurde geradezu mustergültig von den jetzt krisengeschüttelten Banken vorgelebt. Es wurden der Rendite wegen Milliardenbeträge um den Globus geschoben.

Der eigentliche Grund des Unternehmens – die Erzeugung von Kundennutzen oder die Vergabe von richtigen Krediten an richtige Unternehmen – war zur Nebensache geworden. Man spricht von Kasinomentalität. Das ist viel zu harmlos. Es handelt sich um Irrsinn. Hier ist auch der Hinweis auf das von Witte entwickelte Macht- und Fachpromotorenkonzept angebracht: Wenn Machtpromotoren ihre Macht walten lassen, ohne sich von klugen Fachpromotoren die Richtung angeben zu lassen, dann schaffen sie nichts Neues.

Andererseits: Wollen die Fachpromotoren ausschließlich alleine innovieren, fehlt ihnen die Schubkraft. Nur wenn sich beide der Gesamtstruktur unterwerfen, bringen sie Innovationen ans Ziel. Das Bild eines Gespanns trifft hier auch im moralischen Sinne zu und gilt außerdem als statistisch signifikant. Der Mächtige ist auf den Weisen angewiesen, der Weise auf den Mächtigen.

Hier unterscheiden sich mittelständische Unternehmen ganz eindeutig von Großunternehmen. Man denkt viel stärker in Innovationen und in Strategien zur Markteroberung, also in unternehmerischen Dimensionen. In vielen Fällen kommt hinzu, dass die Eigenkapital- oder Umsatzrendite gar nicht erst genannt wird. Mithin auch nicht im Fokus der Denkweise stehen kann. Wir werden in Zukunft von der Kultur und den Strategien, der Denkweise und den Organisationsformen der mittelständischen Unternehmen und Banken viel lernen können. Sie bieten reichlich Anschauungsmaterial in Sachen Unternehmenskultur und haben einen Vorsprung vor den anderen. Ihre Fähigkeit zu überleben ist viel ausgeprägter als bei den Großunternehmen.

Der Unternehmer im Unternehmen

Die Globalisierung ist seit geraumer Zeit die stärkste Triebfeder für Veränderungen bei den Unternehmen. Trotz der sich abzeichnenden Rezession wird es ein Zurück aus der globalisierten Welt nicht oder noch weniger als vorher geben. Mit der Globalisierung des Unternehmens werden die Fragen nach dem Unternehmertum, der richtigen Kontrolle der Unternehmer im Unternehmen und der Abstimmungsprozesse neu gestellt. Internationale Unternehmen stecken voller Widersprüche. Man braucht unternehmerisch handelnde Mitarbeiter fern der Heimat, darf aber die Kontrolle über sie nicht verlieren. Man braucht selbstständig handelnde Manager und muss gleichzeitig Synergieeffekte zwischen allen Unternehmensteilen realisieren.

Das Management soll innovativ und selbstständig handeln. Es soll Verantwortung für den Erfolg tragen, dabei aber das Gesamtwohl nicht aus den Augen verlieren. Es wird total kontrolliert, muss aber selbständig entscheiden. Das Auftauchen dieser in vielen Fällen extrem widersprüchlichen Zielsetzungen und Anforderungen macht die Organisation des internationalen Unternehmens zu einer so schwierigen Aufgabe.

Der unverzichtbare Widerspruch

Eine wirklich dezentrale Führung der internationalen Unternehmensteile hat angesichts der Risiken, die dabei für das Gesamtunternehmen entstehen, in der heutigen Praxis keine Chance mehr. Die Zentrale braucht ständige Informationen über alle Vorgänge. Eine umfassende Kontrolle aller Aktivitäten in realtime ist notwendig.

Auf der einen Seite müssen Fehlentwicklungen schon vor ihrer Entstehung verhindert werden, Synergien über alle Unternehmensteile hinweg gesucht und realisiert werden. Sie stehen gleichberechtigt neben dem individuellen Erfolgsstreben der Unternehmer im Unternehmen. Auf der anderen Seite sind die Führungskräfte vor Ort für das Ergebnis selbst verantwortlich. Sie müssen in ihrem Bereich schnell und erfolgreich entscheiden und bestimmen über das Unternehmen auf dem lokalen Markt. Sie führen national und kooperieren international. Gleichzeitig aber müssen die Entscheider vor Ort zu einer lückenlosen Kontrolle ihrer Aktivitäten beitragen. Übergeordnete Interessen des Unternehmens haben Vorrang. Internationales Denken und lokales Handeln haben Priorität. Die Anforderungen sind beträchtlich.

Die Aufgabe kann nur gelingen, wenn das Unternehmen klare Regeln für das Management aufstellt. Die Strukturen müssen auf dezentralen Unternehmenseinheiten ausgerichtet und das Kontrollsystem umfassend sein. Erst mit einer klaren Organisation im Rücken kann der Unternehmer im Unternehmen mit den widersprüchlichen Anforderungen, die an ihn gestellt werden, fertig werden.

Jede Lösung ist anders

Das heißt, für Unternehmer im Unternehmen ist in allen Fällen ein fest gefügtes Unternehmenssystem wichtigste Voraussetzung. Der Rahmen ist abgesteckt, die unternehmerische Freiheit hat Fixpunkte. Sie kann sich von einer sicheren Basis aus entfalten. Dennoch: Führungspersönlichkeiten müssen eine Gabe zur Unterscheidung zwischen gut und schlecht besitzen, eine Befähigung zu urteilen und der Deutung von unsicherem Verhalten in weiser Voraussicht. Gerechtigkeit braucht eben Macht, sonst ist man ohnmächtig.

Impulse werden nicht als Moderator gesetzt, sondern als Jemand, der vorausschreitet und eigenes und fremdes Recht verwirklicht. Dazu benötigt ein Unternehmen ein waches Gewissen, was wann gefordert ist, ohne gleich in Panik zu geraten. Ebenfalls unverzichtbar ist eine Unternehmenskultur mit gemeinsamen Werten. Gewinnbeteiligungen, Optionen und Renditezahlen werden dabei bewusst in den Hintergrund gerückt.

Das Verfolgen der Unternehmensziele wird als eine Gemeinschaftsaufgabe verstanden. Vernetzung und Kooperation der Führungskräfte untereinander sind wichtige Bestandteile der täglichen Arbeit. Darüber hinaus wird die Lösung der Unternehmensorganisation in einer globalisierten Welt stark von den individuellen Gegebenheiten bestimmt sein. Es gibt kein allgemeingültiges Schema für den Aufbau und die Führung eines global agierenden Unternehmens. So individuell die Lösungen von Unternehmen zu Unternehmen auch sein werden, der fest gefügte Rahmen und eine nicht an Raffgier orientierte Unternehmenskultur sind wesentliche, wenn nicht unverzichtbare Bestandteile.

Die Konzentration der Führungskräfte auf Wertschöpfung, Innovation und Produktqualität werden den Unternehmenserfolg langfristig absichern. Das Streben nach spektakulären Aktionen und maximalen Renditen bedeutet dagegen das schnelle Ende des Unternehmens.


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