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Marktsegmentorientierte Ausgestaltung des Produktordnungssystems reduziert Kosten um 29 %

[12.01.2004]

Foto: alphaspirit / fotolia.com
In dieser Fallstudie wurde ein marktorientiertes Produktordnungssystem entwickelt. Das betrachtete Unternehmen ist ein Konzernverbund, in dem vier verschiedene Marken eigenständig agieren. Die Standorte sind über Europa, Amerika und Asien verteilt. Die Größe der Marken variiert zwischen 600 und 3700 Mitarbeitern. Alle Marken stellen Werkzeugmaschinen her.

Aufgrund der Strukturen wurden Synergiepotentiale im Konzernverbund nur punktuell genutzt und sehr stark die Individualität der einzelnen Marken betont. Des weiteren vermieden es die Marken sich in Abhängigkeit zu einer anderen Marke zu begeben, da die Wahrscheinlichkeit einer Zerschlagung oder Verkleinerung des Verbunds als hoch angesehen wurde. Lösungen in der Ausgestaltung des Produktordnungssystems hatten somit die Mindestanforderung, dass sie für jede der Marken von Nutzen sein mussten. Zusätzlich musste davon ausgegangen werden, dass die Marken ihre Produktionskompetenz nicht abgeben wollen. Um Akzeptanz für das Projekt zu schaffen war zum einen die gleichstarke Einbeziehung aller Marken ein Erfolgsfaktor, zum anderen musste stets Transparenz über die Ergebnisse bestehen.

Der Stand zum Wettbewerber sowie die Ermittlung der standardisierenden und individualisierenden Faktoren war das Ziel der Durchführung einer Kundenbefragung. Die Auswahlkriterien der Kunden wurden in einer Matrix aufgeteilt in technische und Servicekriterien auf der einen Seite und Kriterien die unterstützt werden durch Standardisierung bzw. Individualisierung auf der anderen Seite. Durch die Addition der Gewichtungen der einzelnen Kriterien ergaben sich die Gesamtsummen für vier Felder der Matrix. Es wurde festgestellt, dass die Individualisierung überwiegend durch Serviceaspekte realisiert wird. Im Produkt werden hauptsächlich Kriterien unterstützt, die durch eine Standardisierung der Produkte erreicht werden. Die Individualisierung spielt eine untergeordnete Rolle. Den zweiten Teil der Befragung bildete ein Vergleich mit Hauptwettbewerbern. Der Erfüllungsgrad der zuvor definierten Kriterien der einzelnen Wettbewerber wurde durch die Kunden bewertet. Erhebliche Differenzen im Vergleich zum besten Wettbewerber ergaben sich vor allem im Bereich der standardisierenden Faktoren. Im Bereich der individualisierenden Faktoren stellten die einzelnen Marken teilweise selbst den Benchmark oder befanden sich im Bereich des Best Practice. Durch die Marktanalysen konnte der Handlungsdruck zur marken- und produktübergreifenden Standardisierung aufgezeigt werden. Die Individualisierung musste gewahrt bleiben.

Um die individualisierenden Faktoren zu systematisieren wurden im nächsten Schritt eine Marktsegmentierung durchgeführt. Zu unterscheiden war dabei zwischen marktsegmentspezifischen Faktoren und markenspezifischen Faktoren innerhalb der einzelnen Segmente. Die einzelnen Achsen der Marktsegmentmatrix bildeten zum einen die Applikation und zum anderen die Einsatzregion (USA, Europa, Asien). Insgesamt wurden 24 Hauptsegmente gebildet. Die Segmente sollten durch einzelne Steckbriefe beschrieben werden.

Zur Aufstellung der Steckbriefe war die Kenntnis der zukünftigen individualisierenden Faktoren notwendig. Die zukünftig individualisierenden Faktoren bildeten zum allergrößten Teil eine Teilmenge der momentanen individualisierenden Faktoren. Deswegen wurde die Grundgesamtheit der Variantenparameter in einer Baumstruktur ermittelt. In Workshops mit Vertretern der Marken wurden der Ist-Variantenbaum in einen Soll-Variantenbaum überführt. Beispielsweise mussten weiterhin elektrische und hydraulische Antriebe angeboten werden. Andere Varianten wiederum wurden gestrichen. Bei einer Marke wurde die Verfahreinheit auf einer Schiene geführt, bei allen anderen auf zwei Schienen. Hier wurden der Entschluss gefasst, zukünftig nur noch die einschienige Varianten anzubieten. Der Variantenbaum wurde insgesamt um über 40 % gekürzt. Trotzdem können alle Marktsegmente auch weiterhin bedient werden.

Die Steckbriefe wurden mit Hilfe der Übersetzungsmatrix der QFD gebildet. Einzelne Marktsegmente wurden auf die variantenbestimmenden Parameter abgebildet. Die variantenbestimmenden Parameter wurden anschließend den Funktionen zugeordnet. In den Ecktypbeschreibungen wurden also nur die variierenden Faktoren erfasst. Teilweise mussten aufgrund spezieller Kundenanforderungen Markenspezifika erhalten bleiben. Eine Marke im Verbund war beispielsweise für ihre hochqualitativen Produkte bekannt. Hier war besonders wichtig die nach außen sichtbaren Teile auch weiterhin differenziert auszugestalten. Zur Bewertung der Funktionen hinsichtlich ihrer markenspezifischen Ausgestaltung wurde ein Portfolio aufgespannt mit den Achsen "Wichtigkeit der markenspezifischen Gestaltung" und "Schwierigkeit der markenspezifischen Ausgestaltung". Die Einordnung der Funktionen in das Portfolio erfolgte in Workshops mit Vertretern der einzelnen Marken aus Marketing und F&E. Die Funktionen im II. Quadranten (beispielsweise die Gehäusefunktion) wurden weiterhin markenspezifisch ausgestaltet und in den Steckbriefen vermerkt.

Aufgrund der Steckbriefe waren die Varianten der Funktionen bekannt. Der nächste Schritt bildete die Übersetzung der Funktionen in Bauteile. Mit der Neugestaltung des Produktordnungssystems wurde gleichzeitig die Architektur der Maschinen entflochten. Die Ermittlung der komplexen Bereiche erfolgte durch die Gegenüberstellung von Funktions- und Produktstruktur und die Zuordnung von Komponenten zu Funktionen. Wurden Funktionen durch mehrere über verschiedene Orte verteilte Komponenten realisiert so deutete dies auf starke Interdependenzen in den Prozessen und Organisationen hin. Die Neuanordnung der Komponenten hatte die Übereinstimmung von Funktions- und Produktstruktur zum Ziel. Anschließend erfolgte die Klassifizierung der Bauteile in Differenzierungs- und Standardisierungsteile. Dies wurde exemplarisch an einem Volumenmodell durchgeführt. Differenzierungsteile ändern sich mit den Marktsegmenten, Standardisierungsteile bleiben gleich. Differenzierungsteile wurden in separaten Modulen gebündelt und deren Schnittstellen standardisiert. Desweiteren wurde der Aufbau weitestgehend so geändert, dass die Montage der Differenzierungsmodule am Ende der Wertschöpfungskette erfolgen konnte. Dies ermöglichte die Vorfertigung der standardisierten Teile in hohen Stückzahlen.

In dieser Phase wurde noch nicht Differenzierung durch Leistungsunterschiede betrachtet. Grundsätzlich wurde angenommen, dass sich differenzierende und standardisierte Bauteile über die Leistungsbereiche nur in ihrer Skalierung ändern. Dies Annahme bestätigte sich für den Großteil der Bauteile.

Mit der Ausgestaltung des Produktordnungssystems war noch nicht die Problematik der massiven Überschneidungen in den Produktprogrammen gelöst. In den Volumenbereichen wurden von allen Herstellern Maschinen verkauft, in den anderen Bereichen ergaben sich immer noch starke Überschneidungen. Grundsätzlich war es auch weiterhin sinnvoll, verschiedene Maschinenmarken in den gleichen Leistungsbereichen abzubieten. Durch die Marken- und Marktsegmentindividualisierung konnte pro Leistungsklasse eine größere potenzielle Käufergruppe erreicht werden. Zudem ergaben Berechnungen, dass die Montage an einem Standort und weltweite Verteilung aufgrund der hohen Transport- und Koordinationskosten nicht lohnenswert ist. Allerdings wurden Überlegungen angestellt, die Komponentenfertigung für großvolumige Gleichteile im Produktprogramm zu zentralisieren. Bisher bestanden nur punktuell Fertigungsverbünde im Konzern.

In einer ABC-Analyse wurden die großvolumigsten Teile ermittelt und zwei verschiedene Fertigungsalternativen berechnet: Die Fertigung an einem bereits bestehenden Standort und der Aufbau einer neuen Fertigung an einem Standort eines Billiglohnlands. Die Analyse ergab für die Plattformkomponenten Potenziale von durchschnittlich 23 % bei Realisierung der Fertigung im Billiglohnland. Durch die großen Stückzahlvolumina kann eine Amortisationszeit der Investition von 4,8 Jahren erzielt werden. Deswegen fiel die Entscheidung für den Aufbau eines neuen Fertigungsstandorts. Nicht zuletzt wurde dies auch dadurch möglich, dass das Gruppenzugehörigkeitsgefühl durch den gemeinsamen Aufbau des Produktordnungssystem wesentlich gestärkt wurde. Befürchtungen über eine Zerschlagung der Gruppe bestanden nicht mehr in dem Maße. Vielmehr wurden die Potenziale einer gemeinsamen Zusammenarbeit stärker gesehen. Durch die Überarbeitung des Produktordnungssystems ergaben sich durchschnittliche Zielkostenreduktionen von 29 %. Zwischen den Marken ergaben sich Unterschiede in den Potenzialen durch die Angleichung der Qualitätsniveaus. Zwei Marken erhöhten durch das Projekt die Qualität und Technik Ihrer Produkte. Dies hatte gleichzeitig eine Verringerung der Potenziale zur Folge. Trotz schwacher Konjunkturdaten konnten die Umsatzzahlen gehalten werden. Weiterer wesentlicher Effekt war die drastische Reduzierung der Durchlaufzeiten von vorher zwei Wochen auf drei Tage. Vor allem die Modularisierung des Produktaufbaus ermöglichte diesen Sprung. Die einzelnen Module wurden in anderen Montagelinien vorgefertigt und anschließend zusammenmontiert.

Weiterführende Literatur:

Seminarhinweis:

  • Fachseminar: Produktklinik & Produktordnungssysteme 18. - 20. März 2004 in München

Produktinformation:

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