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Werte und Wertewandel

[07.08.2001]

Foto: Mimi Potter / fotolia.com
Wissen Sie noch wie das war, als ein Vorstandschef im Ralleyauto zur Börse kurvte und halbnackte Puppen auf der Galerie am Champagner nippten? Das waren die Zeiten, als am Neuen Markt die Milliarden nur so aus dem Nichts geschöpft wurden. Ist was davon übrig geblieben?

Bei der Börsenemission der Siemenstochter Infineon fuhr der Unternehmenschef in Rennfahrer-Kombi und Porsche vor. Die Post spendierte für den Börsenvorplatz eine Horde gelber Kühe und Beate Uhse beging den Börsengang mit einer Crew junger Damen in roten Dessous. Das war der erste Teil der Wertsteigerung, und die Anleger machten mit. Zumindest in der Euphorie damals.

Das ist Vergangenheit - und die Wertsteigerungen sind es auch. Die Blase am neuen Markt und der Zusammenbruch derselben sind ein schlagendes Beispiel für die Unberechenbarkeit der Werte. In der Marktwirtschaft ist ein Wert immer so hoch wie der Preis, den einer dafür zu bezahlen bereit ist. Und es gibt auch nur Tagespreise. Oder glaubt irgendjemand im Ernst, Chris Gent würde heute noch einmal mehr als hundert Milliarden Mark für eine zweitklassige Telefongesellschaft bezahlen?

Die wilden Börsentage sind Vergangenheit. Das Management der Old Economy könnte sich beruhigt zurücklehnen. Man hat recht behalten. Ein Unternehmen muss eine dauerhafte Strategie fahren. Werte entstehen nur durch systematische Arbeit. Tagespreise gelten nicht.

Diese Einschätzung ist richtig, und sie ist falsch. Richtig ist, dass ein gutes Management eine ausgefeilte Strategie zur Erreichung der Unternehmensziele haben muss. Mehr Wachstum, Steigerung der Kernkompetenz und die Erhöhung der Effizienz sind untadelige Vorgaben. Wer sich daran orientiert, wird dauerhaft den Wert des Unternehmens steigern können.

Falsch ist, zu meinen, dass damit alles getan ist. Das Management kann den Unternehmenswert nur dann um das Höchstmögliche steigern, wenn es neue Opportunitäten erkennt und schnell ausnutzt. Zweitens ist die Imagesteigerung des Unternehmens bei den eigenen Mitarbeitern, bei den Kunden und bei den Geldanlegern - gleichviel ob Institutionelle oder Private - eines der wichtigsten Tools geworden, um den Unternehmenswert zu steigern.

Die Opportunitätsgewinne sind am schwierigsten zu realisieren. Sie lassen sich nämlich nur bedingt steuern. Das Beispiel Infineon ist ein prächtiges Beispiel. Siemens konnte durch den Börsengang zum richtigen Zeitpunkt einen guten Verkaufspreis erlösen. Die Börsen- und die Technologie-Euphorie machten den Börsengang zu einem durchschlagenden Erfolg.

Ein anderes Beispiel ist die Übernahme von Time Warner durch AOL. AOL-Chef Steve Case nutzte den Höhepunkt der Internet-Euphorie, um das konservative Medienkonglomerat Time Warner zu übernehmen. Heute würde er das nicht mehr schaffen.

Dass heißt, durch plötzlich hereinbrechende Wellen der ökonomischen Szene können sich sehr schnell Opportunitäten ergeben, auf die das Management vorbereitet sein muss. Hier braucht man ein Frühwarnsystem. Auch die Einbeziehung unterschiedlicher Szenarien in die Strategie ist ein passendes Instrument.

In diese Abteilung gehört auch die Nutzung des Instrumentariums der New Economy. Das Arbeiten mit Venture Capital zur frühzeitigen Beteiligung an zukünftigen Opportunitäten muss vom Management gelernt werden. Die Ausgliederung von Unternehmensteilen und deren Verkauf über die Börse werden auch in der Zukunft wieder Chancen eröffnen. Die Börse geht schließlich rauf und runter.

Zweitens war es für die klassischen Unternehmen eine bittere Pille zu erleben, dass Unternehmenswerte aus dem Nichts entstehen können. Der Beweis wurde erbracht, dass Image wichtiger ist als Grundstücke und Maschinenparks. Wenn in der Phantasie der Menschen ein positives und zukunftsträchtiges Bild des Unternehmens verankert werden kann, dann lernen die Unternehmenswerte das Laufen.

Der Imagefaktor läßt sich auf vertrauensbildende Maßnahmen für die Mitarbeiter, die Investoren und die Kunden aufteilen. Darüber aber darf es keine Täuschung geben: Die Aufteilung ist systematisch in Ordnung, sie findet in der Realität so einfach nicht statt. Erstens kann, wie im Fall der Chiphersteller geschehen, ein Unternehmen durch nicht beeinflussbare Faktoren von außen in eine Börsenstar-Rolle gedrängt werden.

Literaturhinweise:

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