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Entwicklungsnetzwerke sind der dritte Weg

[23.05.1999]

Foto: alphaspirit / fotolia.com
Wie können mittelständische Unternehmen auf die globalisierte Wettbewerbssituation strategisch erfolgreich reagieren? Am Beispiel der Zulieferindustrie erläutert der Münchner Betriebswirtschaftsprofessor Horst Wildemann die Chancen, die in neuen Netzwerkstrukturen liegen.

Nicht nur große Systemlieferanten sondern auch kleinere und mittelständische Zulieferer müssen sich vor dem Hintergrund der Reduzierung der Entwicklungs- und Fertigungstiefe, der Neuorganisation des Einkaufs, der Reduzierung der Lieferantenanzahl durch viele Hersteller, der anhaltenden Globalisierungs- und Internationalisierungstendenzen sowie der Kon­zen­tra­tions­bewegungen ihre Problemlösungskapazität, ihr Produkt- und Prozess-Know-How weiterentwickeln. Es steht fest, dass der Wettbewerb durch finanzstarke Konzerne und Produzenten in kostengünstigen Ländern zunehmen wird und die neuen Chancen auf den Weltmärkten für einen Mittelstandsbetrieb allein kaum auszuloten sind. Es stellt sich die Frage, wie Zulieferunternehmen diesen zunehmenden Anforderungen begegnen können.

Der Rückzug in die Nische, die Fusion mit einem der Großen der Branche oder der Ausbau der eigenen Aktivitäten sind die Alternativen. Der Ausweg in die Fusion ist nach den fragwürdigen Erfahrungen aus der Vergangenheit immer weniger ein Weg aus der Krise. Reine Skaleneffekte verlieren an Bedeutung, wenn es um eine neue Qualität in der Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Abnehmern geht. Der Hersteller sucht keinen Partner für primitive Massenproduktionen. Er braucht Kooperationen, in denen durch die Zusammenlegung von Know-how eine höhere Stufe in der Wertschöpfung erlangt wird. Der Zulieferer kann seinerseits die ständig steigenden Anforderungen am besten durch das Pooling von Know-how aus den Partnerfirmen erfüllen.

Die Zusammenarbeit in Unternehmensnetzwerken als Kooperationsform zwischen Markt und Hierarchie stellt sich somit als eine auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen zielende Organisationsform dar, die sich durch relativ stabile Beziehungen zwischen rechtlich selbständigen, wirtschaftlich jedoch zumeist abhängigen Unternehmen auszeichnet.

Die Bildung von Netzwerken als einer neuen Form der unternehmensübergreifenden Kooperation ist ein Neuansatz, der erhebliche Veränderungen des Wettbewerbs mit sich bringt. Hatten kleinere Unternehmen bisher oft nur die Wahl zwischen Fusion/Geschäftsaufgabe und Rückzug in die Nische, eröffnet sich jetzt ein dritter Weg. Im Netzwerk wird die Wettbewerbsfähigkeit kleiner Unternehmen gestärkt. Sie können sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und überlassen die Randaktivitäten den spezialisierten Partnern. Daraus ergibt sich ein leistungsfähiger und innovativer Verbund, der die Vorteile des kleineren Unternehmens mit den Vorteilen eines größeren paart.

Für die Zulieferer bedeutet die Erhöhung der Anforderungen, dass sie gegenüber den Abnehmern immer mehr zu gleichwertigen Unternehmen werden. Andererseits müssen sie selbst die Fähigkeit erwerben, in Partnerschaft mit anderen Spezialisten hoch kompetitive Lösungen zu entwickeln und zu produzieren. Die Zulieferer konzentrieren sich ihrerseits auf Kernkompetenzen und besetzen einen Abschnitt der Wertschöpfungskette. Sie werden dabei gezielt jene Bereiche für sich reservieren, die von besonderem strategischem Gewicht für das Ganze sind. Sie streben die strategisch entscheidenden Schnittstellen der Wertschöpfungskette an. Die Zulieferunternehmen müssen hierfür ihr Know-how bezüglich Produkten und Prozessen aufbauen. Diese oftmals technologischen Spitzenleistungen sind erst in Netzwerken zu schaffen. Die Entwicklungsnetzwerke stellen aufgrund der Herausforderungen bezüglich time-to-market und aufgrund kurzer Entwicklungszeiten eine bedeutende Ausprägung im Rahmen der Unternehmensnetzwerke dar.

Mit Hilfe von Timing-Strategien wird Einfluss auf die Planung und Realisation des Markteintrittspunktes genommen. Sie koordinieren somit die Markt- und Unternehmensdimension einer Innovation. Aufgrund der Struktur der Vielzahl junger Märkte, in die eingetreten wird, gelten die Timing-Strategien als strategischer Schlüsselfaktor, um das Phänomen der Zeitfall zu handhaben. Die Möglichkeiten reichen dabei von der Pionierstrategie bis hin zur frühen und späten Folgerstrategie, die sich aus der Abgrenzung hinsichtlich der Lebenszyklusphase des Eintrittsmarktes und dem Strategieschwerpunkt zum Zeitpunkt des Markteintritts ergeben und wesentlich Einfluss auf time-to-market und time-to-customer haben. Über die Einwirkung auf den Produktentstehungs- und Logistikzyklus, die eng miteinander zu verzahnen sind, kommt es über den Produktlebenszyklus gleichzeitig zu einer kurzen time-to-market und time-to-customer. Aufgrund verteilter Entwicklungs- und Produktionsstätten, Kostendruck wachsende Komplexität und der knappen Ressource Zeit, gilt es sich den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen, indem nicht nur die DV-Technik, sondern im Wesentlichen die Organisation durch den Aufbau von Entwicklungsnetzwerken optimiert werden. Damit können die Ziele der rechtzeitigen Marktpräsenz, die Einhaltung der Lieferzeiten, zufriedene Kunden und letztendlich dauerhafte Wettbewerbsvorteile und höhere Gewinne erreicht werden.

Eine möglichst schnelle Markteinführung kann zudem erfolgsbestimmend wirken. Charakteristisch für erfolgreiche Unternehmen ist, dass sie ihre Lieferanten in Entwicklungsprozesse integrieren und über Simultaneous-Engineering-Projekte wesentliche Kompetenz bezüglich Know-how und Technologie erlangen, die sie in dauerhafte Wettbewerbsvorteile oder Markteintrittsbarrieren verwandeln können.

Die Einflussgrößen für die Entwicklungsnetzwerke begrenzen sich allerdings nicht nur auf die Zeitkomponente, vielmehr gilt es die aktuellen Entwicklungstrends und Anforderungen an die Unternehmen zu berücksichtigen, die sich von der Zunahme der Arbeitsteilung, über die Orientierung am Kerngeschäft bis zur Bündelung der Ressourcen erstreckt. Die Bündelung umfasst ein Spektrum, das sich von den Sachmittel/Anlagen, Informationen, Technologie-Know-how, Markt­zu­gang/-potentiale, Marketing bis hin zu Personal/Qualifikation und den Finanzbereich erstreckt. Richtet man das Blickfeld auf den Entwicklungsprozess, so sind für die Erstellung eines Prototypen bestimmte Teilprozesse und prozessuale Aktivitäten notwendig, die weit über die Festlegung der Timing-Strategien reichen und vom Entwicklungsteam im Entwicklungsnetzwerk erfüllt werden müssen.

Fokussiert man den Binnenbereich des Unternehmens, so ist zur Erreichung die Ressource Wissen in Entwicklungskooperationen und die damit verbundene Diffusion von Wissen näher zu beleuchten. Das Wissen in den Partnerunternehmen ermöglicht über Lernprozesse die Wettbewerbssituation zu beeinflussen und so dauerhafte Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Die Lernebenen in Ent­wicklungs­kooperationen sind: er­geb­nis­orientiert und potentialorientiert. Während die Stufe auf dem Lernen zu kooperieren beruht, geht das potentialorientierte Lernen einen Schritt weiter, indem das Lernen, um zu kooperieren in den Vordergrund gestellt wird. Angesichts der aktuellen Entwicklungstrends gilt es insbesondere auf diese zweite Ausprägung des Lernens abzustellen, die letztendlich über den Lernkreislauf auch das ergebnisorientierte Lernen beinhaltet. Die Lernfähigkeit von Unternehmen kann durch geeignete Lerninstrumente unterstützt werden. So beispielsweise mittels der Auditierung oder des Benchmarkings. Hierbei darf das Entwicklungsnetzwerk nicht nur in einer Richtung - zum Hersteller - wirken, bei dem dem Zulieferant das Know-how abgezogen wird. Vor allem die Form des Entwicklungsnetzwerkes lebt von einer gleichberechtigten Zusammenarbeit und dem permanenten Erfahrungsaustausch zwischen den Partnern. Die Erhaltung und der Ausbau des Wissens ist eines der entscheidensten Kriterien bei der Durchführung eines effizienten Entwicklungsnetzwerkes.

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