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Switch Management: Unternehmen auf Sicht fahren

[14.01.2011]

Foto: WavebreakmediaMicro / fotolia.com

Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Horst Wildemann schreibt in seiner Kolumne für die Süddeutsche Zeitung über das Thema "Switch Management: Unternehmen auf Sicht fahren".

Die angeblich schwerste Krise in der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte ist offenkundig vorbei, bevor das Krisenmanagement in den Unternehmen richtig zu greifen beginnt. Also, alles abblasen. Also, zurück zur alten Masche? Das wäre fatal. Zwar kennt der Boom in China schon wieder keine Grenzen. In Indien, Indonesien und Brasilien wachsen die Bäume in den Himmel. Wirtschaftsweise aller Richtungen schrauben die Wachstumswerte wieder schneller nach oben, als sie vorher gesenkt wurden. Man braucht doch jetzt nur noch die Auftragsbücher aufblättern – und ab geht die Post. Geht sie natürlich nicht. Auch wenn es in vielen Bereichen der Wirtschaft schon wieder Entwarnung gibt, muss das Management jetzt erst recht die Finger von den alten Methoden lassen. Krisendimensionen prägen bis auf Weiteres und vermutlich für immer die Praxis der guten Unternehmensführung. Normalität ist nämlich nicht mehr normal. Normal ist ab jetzt Krise.

Die Annahme eines über einen längeren Zeitraum stetig verlaufenden Wirtschaftszyklus ist für eine Unternehmensstrategie heute nicht mehr tragbar. Wer auf dieser Basis sein Unternehmen führen will, wird scheitern. Langfristige Planung wird es als Leitlinie auch weiterhin geben. Aber entscheidend wird sein, dass die Unternehmensführung in verschiedenen Szenarien denkt und kurzfristig verschiedene Optionen wählen kann. Die Optionen für das Switch-Management müssen definiert und bewusst als schnell umsetzbare Alternativen gesehen werden: Das Unternehmen wird auf Sicht gefahren. Kurzfristige Anpassungen und Wendemanöver gehören zum Alltag. Das ist eine der wichtigsten Lehren. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass die globale Ökonomie unberechenbar ist. Krisen können ohne jede Vorwarnung losbrechen. Sie ereignen sich aus Gründen, an die nie jemand gedacht hätte. Und sie machen wie ein Orkan alles platt, was in den Weg kommt. Sie sind unberechenbar wie Naturereignisse und genau so unvermeidlich: Kaum jemand kann sich diesem globalen Wirtschaftsbeben entziehen.

Management in der Gewissheit unberechenbaren Unheils ist grundverschieden von Management in Zeiten langfristiger Wirtschaftszyklen. Traditionelle Zielsetzungen werden relativiert, die Denkweise in langen Fristen wird von der Notwendigkeit überlagert, jederzeit kurzfristig eingreifen zu können. Das Streben nach Flexibilität steht gegen die klassische Kernkompetenz. Denn auch die Kernkompetenz wird in einer unsicher gewordenen Welt ganz anders zu benoten sein, als in den ruhigen Zeiten wirtschaftlicher Langzyklen. Denn grundsätzlich wird Flexibilität in jeder Hinsicht zu einer Richtlinie des verunsicherten Managements. Flexibilität als übergeordnete Maxime kollidiert mit der traditionellen Bewertung der Kernkompetenz als dem heiligen Gral des Unternehmens. In der Zukunft wird man die verengte Sicht auf das streng umrissene Kerngebiet wieder offener gestalten. In den Vordergrund rückt dann die Frage: Wo und womit kann ich in bisher nicht beackertes Gelände vordringen? Wo sind zusätzliche Bereiche, die das Unternehmen auf eine breitere Basis stellen? Wie wird das Geschäftsfeld breiter und damit weniger anfällig für gefährliche Krisen? So hat ein Hersteller von Verbrennungsmotoren die Produktion von Haushaltskraftwerken angeschoben, ein Schiffbauer wird zum Hersteller von Windkrafträdern und ein Computerhersteller steigt in die Handyproduktion ein. In allen Fällen haben diese Aktivitäten eine Ableitung aus den eigenen Kompetenzen, sind aber mit dem alten Verständnis von Kernkompetenz nicht mehr kompatibel.

Eine Flexibilisierung steht auch in Sachen Kundenorientierung auf dem Programm. Zwar wird die Ausrichtung des Unternehmens auf die Wünsche der Kunden und das Messen des Erfolges an der Kundenzufriedenheit weiterhin ein zentrales Steuerinstrument gut geführter Unternehmen bleiben. Doch die Suche nach neuen Kunden in bisher nicht bearbeiteten Märkten wird an Bedeutung zu nehmen. Das entspricht auch dem Charakter einer globalen Ökonomie. Ein Unternehmen, das auf Dauer auf fremden Märkten Erfolg haben will, wird ohne ein selbstständig lebensfähiges Engagement auf dem jeweiligen Zielmarkt nicht auskommen. Das gilt auch, wenn die meisten Unternehmer in den vergangenen Jahren mit Auslandsproduktionen keinen Erfolg gehabt haben. Der Fehler: Wer allein wegen der billigen Löhne im Ausland für das Inland produziert, hat das falsche Konzept. Ganz anders liegen die Erfolge bei Tochterunternehmen, die zur Belieferung des Zielmarktes konzipiert wurden. Sie sind das geeignete Instrument zur Verteilung von Risiken und zur Erschließung neuer Geschäfte. Die stärkere Flexibilisierung, die wie ein roter Faden die Neuausrichtung des Managements prägt, findet Ergänzung in der noch höheren Wertschätzung der Innovation. Sie ist letztendlich das Schlüsselwort für Erfolg auf globalen Märkten. Die Aufgeschlossenheit gegenüber Innovation und deren nachhaltige Förderung im Unternehmen darf vor keiner Tradition oder Kernkompetenz halt machen. Innovationen sind letztlich das entscheidende Rüstzeug für wirtschaftlichen Erfolg in unsicheren Zeiten. Gravierendes Umdenken ist insbesondere auch im Bereich Finanzen angesagt. In der Phase des billigen Geldes – dem Verursacher der Krise – war in vielen Unternehmen die höchstmögliche Verschuldung zum Wohle der Kapitalrendite eine beliebte Taktik. Doch mit Leverage ist es jetzt vorbei. Denn in Krisen sind hohe Schulden ein gewaltiger Klotz am Bein. Das Unternehmen ist handlungsunfähig, wird zum Spielball der Geldgeber und schlittert in die Insolvenz. Karman, Arcandor, Opel und Co. lassen grüßen.

Ganz anders der mit ordentlich Eigenkapital ausgestattete Konkurrent. Der kann jetzt schwach gewordene Unternehmen billig aufkaufen. Er kann sich neue Bereiche erschließen oder sein Stammgeschäft arrondieren. Gut geführte Unternehmen rüsten sich mit Eigenkapital nicht gegen, sondern für die Krise. Es ist offenkundig, dass die Chancen, die in jeder Krise stecken, nur von den starken Unternehmen genutzt werden können. Von Chancengleichheit gibt es da keine Spur. Otto-Versand gönnt sich die Marke Quelle, kauft das Russlandgeschäft der Nürnberger und wird Marktführer im boomenden russischen Versandhandel. VW kauft Porsche und bietet für Karman. Eine indische Milliardärin kauft sich Escada. In der Krise werden die großen Weichen gestellt, in der Krise werden ganze Märkte neu verteilt. Die betriebswirtschaftliche Bedeutung der Krise ist mithin größer als die aller anderen Phasen im Leben eines Unternehmens. Das aber wurde bisher von der Wissenschaft genau so wie von der Praxis nicht entsprechend gewürdigt. Nun ist man dazu gezwungen.

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