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Organisationsentwicklung als Ansatz zur Synergierealisierung nach Fusion

[04.03.2003]

Foto: Mimi Potter / fotolia.com
Zur Zeit der Hausse der Kapital- und Finanzmärkte wurden Fusionen und Akquisitionen mehr denn je als das strategische Mittel zur Schaffung von Wachstum und Wertsteigerung erachtet. Zahlreiche empirische Studien belegen, dass der Zukauf das eigene Wachstum nachweislich schlägt. Ebenso viele empirische Studien belegen aber auch, dass ca. 80 % aller Unternehmens­zusammen­schlüsse scheitern und Kapital und damit Wert vernichtet wurde. Geht man von einer strategischen Kompatibilität der fusionierten Unternehmen aus, ist die Ursache meistens auf nicht oder nur unzureichend realisierte Synergieeffekte zwischen Käufer und Gekauftem zurückzuführen. So auch bei dem betrachteten Unternehmen, dessen Fusion bereits vier Jahre zurückliegt. Aufgrund der Verzinsung der für den Kaufpreis prognostizierten Synergiepotenziale war eine 100%ige Realisierung dieser jedoch nicht mehr möglich.

Bei den fusionierten Unternehmen handelt es sich um einen Werkzeughersteller mit 1.200 Mitarbeitern, der einen Nischenanbieter mit ergänzendem, aber auch teilweise redundantem Produktprogramm und damals ca. 250 Mitarbeitern aufgekauft hat. Zielsetzung der Fusion war die Ausweitung des Kerngeschäfts, das bis dato ausschließlich durch den Direktvertrieb getätigt wurde, und dessen Ergänzung durch Zukauf des Marktzugangs zum Handel. Gleichzeitig wurde angestrebt, die Marktanteile, vor allem in Mitteleuropa, weiter auszubauen um die Marktposition auf dem Weltmarkt damit zu sichern.

Die Marken beider ehemaligen Unternehmen sind von einem hohen Bekanntheitsgrad geprägt, so dass eine Konsolidierung der Produkte unter einer neuen gemeinsamen Marke oder wahlweise unter einer der alten Marken nicht in Frage kam, da dadurch mit einer Kundenfluktuation zu rechnen gewesen wäre. Die Redundanzen der Produktprogramme waren vor allem im umsatzstärksten Produktsegment des Nischenanbieters aufzufinden, so dass eine kundenwirksame Differenzierung der Produkte oder aber eine eindeutig segmentierte Bedienung der Vertriebskanäle mit den Marken dringend erforderlich war.

Redundanzen zeigten sich auch in der Aufbau- und der Ablauforganisation. Hier ergab sich das Erfordernis der Eliminierung oder gegebenenfalls des Transfers doppelt vorhandener Ressourcen. Insbesondere in Bereichen der Ausübung indirekter Tätigkeiten, wie z. B. des Einkaufs, des Rechnungs- und Personalwesens, des Controllings und der EDV-Administration fand Doppelarbeit statt. Die Besetzung vakanter Führungspositionen und die Definition der Reporting-Regelkreise mussten damit ebenfalls neu diskutiert werden. Aufgrund der Überschneidungen in den Produktprogrammen war für die Produktionsstandorte eine neue Produktkompetenzdefinition notwendig geworden, um zu erreichen, dass in Zukunft kein Produkt mehr an zwei Standorten gleichzeitig hergestellt wird. Redundanzen und Ineffizienzen wurden ebenfalls in den standortübergreifenden Materialflüssen und der Distributionslogistik der beiden Unternehmen, die bis dato komplett getrennt abgewickelt wurde, festgestellt.

Differenzierung der Marken und Produkte zur Erzielung von Synergien im Vertriebsnetz

Die ehemaligen Produktprogramme und Vertriebsstrategien differenzierten sich vor allem dahin gehend, dass sie völlig unterschiedliche Vertriebskanäle bedienten und damit ursprünglich keine Konkurrenz füreinander darstellten. Mit einer zunehmend rückläufigen Marktentwicklung und ohne klare Vertriebsstrategie in dem neuen Unternehmen entwickelte sich ein interner Preis- und Umsatzwettbewerb. Durch redundante Marktbedienung mit beiden Marken wurden Kannibalisierungseffekte bei den Kunden und auch bei den Preisen ausgelöst. Da die Überschneidung der Produktprogramme der beiden ehemaligen Unternehmen jedoch im umsatzstärksten Produktsegment des wesentlich kleineren gekauften Unternehmens vorzufinden war, konnten die anderen Produktsegmente als eine Bereicherung und Ergänzung betrachtet werden, wobei verschiedene Nischen zusätzlich abgedeckt wurden.

Um in Zukunft eine Bedienung von Direktvertrieb, Fachhandel für den Industriekunden und Großhandel für den privaten Endkunden mit identischen Produkten zu vermeiden, und stattdessen die ursprüngliche Zielsetzung der Fusion, nämlich den Zugewinn weiterer Marktanteile über zusätzliche Vertriebskanäle zu verfolgen, waren eindeutige Differenzierungsmerkmale in den Produkten zu schaffen, um eine Kollision auf dem Markt zu verhindern. Diese Differen­zierungs­merkmale wurden in Funktionalität, Optik und Verpackung und nicht zuletzt in einem deutlichen Preisgefälle für die Kunden bemerkbar ausgestaltet.

Die gemeinsame Nutzung des weltweiten Vertriebsnetzes des Käuferunternehmens bedeutete vor allem für die Produkte des Gekauften einen Multiplikationseffekt im Vertrieb der Nischenprodukte.

Synergien der Aufbau und Ablauforganisation durch Ressourcen-Elimination und -Transfer

Um die Redundanzen in der Aufbauorganisation zu identifizieren, wurden alle Tätigkeiten entsprechend der im Organigramm aufgeführten Bereiche festgehalten und mit den jeweiligen vorhandenen Personalkapazitäten hinterlegt. Die Häufigkeit der Aufführung der Tätigkeiten in den Organigrammen der drei betrachteten Standorte gab bereits einen ersten Aufschluss über Doppelarbeit. Eine Funktions- und Leistungsanalyse über das gesamte Geschäftsprozessmodell, die die prozentuale Verteilung der Tätigkeiten in den Organisationseinheiten auf die einzelnen Geschäftsprozesse widerspiegelt, rundet diese Aufschlüsse ab. Ein Personalbenchmarking zu branchengleichen und strukturähnlichen Unternehmen bestätigte die identifizierten Potenziale in den Personalkosten. Hierbei wurde der jeweilige Anteil Mitarbeiter, dargestellt zum einen als einzelne Organisationseinheiten, zum anderen in Form Beteiligter an Geschäftsprozessen, dem Gesamtumsatz sowie dem Gesamtaufwand für Personal gegenübergestellt. Redundanzen in den Tätigkeiten ergaben sich hier im Wesentlichen in indirekten Bereichen, wie dem Einkauf, dem Controlling und dem Rechnungswesen, dem Personalwesen und der EDV-Administration. Lediglich einzelne Tätigkeiten dieser Bereiche wurden danach nur noch dezentral ausgeübt, wie z. B. die Bedarfsmeldung, die Lohnbuchhaltung, das Einstellprozedere und die Betriebsdatenerfassung. Alle weiteren Funktionen wurden an eine zentrale Organisationseinheit abgegeben. Die angesetzten Benchmark-Zielgrößen der Vergleichsunternehmen konnten hierbei teilweise sogar unterschritten werden.

Symptome der internen Reibungsverluste durch die unabgestimmten Prozesse der Ablauforganisation waren im Wesentlichen die Leistungskennzahlen, wie z. B. eine überdurchschnittlich hohe Gesamtdurchlaufzeit der Aufträge und eine nicht wettbewerbsfähige Liefertreue von weniger als 60 %. Die Synergien in der Ablauforganisation wurden einerseits in der oben bereits genannten Funktions- und Leistungsanalyse festgestellt und zum anderen anhand der Aufnahme der Geschäftsprozessmodelle beider Unternehmen eindeutig identifiziert. Die Schnittstellenanalyse verdeutlichte hierbei den durch die Fusion entstandenen Koordinations­aufwand der redundanten Prozesse, welche auf teilweise gleiche Schnittstellen zurückgriffen und von einem hohen Abstimmungsaufwand oder aber von Informationsdefiziten gekennzeichnet waren. Aus dieser Analyse ging deutlich hervor, dass ein großer Anteil des Informationsbedürfnisses über alle Prozessstufen hinweg nicht ausreichend befriedigt wurde. Im Hinblick auf eine Eliminierung der überflüssigen Prozessschritte und die Behebung des unzureichenden Informationsflusses und der damit verbundenen unzureichenden Performance, musste ein Soll-Kerngeschäftsprozess für eine gleichermaßen schnelle Bedienung beider Marken mit den daran beteiligten Mitarbeitern entwickelt und in die Tat umgesetzt werden. Die Synergien, die sich hieraus ergaben, waren wiederum auf den damit verbunden Personalaufwand zurückzuführen.

Um den Mitarbeitern diese signifikanten strukturellen Änderungen in der Organisation zu visualisieren und vorzuleben, ohne dabei Änderungen in den Corporate Relations zu Kunden vorzunehmen, avancierten die ehemaligen Unternehmen zu Marken unter einer neuen Dachgesellschaft, vergleichbar mit DaimlerChrysler und den zugehörigen Marken Mercedes Benz, Freightliner, Chrysler etc. Unter dem Dach dieser neuen Gesellschaft wurde zudem eine Profit-Cost-Center-Struktur eingeführt, in deren Rahmen mit Ausnahme des Vertriebs und der auftragsspezifischen Anwendungsentwicklung, die die Profit-Center bildeten, sämtliche Funktionen unabhängig von den Marken operieren und als Cost Center Bestandteil der Dachgesellschaft sein sollten. Ebenfalls wurden sämtliche indirekte Bereiche in Form eines Corporate Service Center als Elemente der neuen Dachgesellschaft zusammengefasst.

Steigerung der Performance der stand­ort­übergreifenden Logistikprozesse

Die wohl signifikantesten Redundanzen in den Geschäftsprozessen waren in der stand­ort­übergreifenden Logistik, insbesondere in der Distributionslogistik, zu vermerken. Hier wurden zwei verschiedene, komplett autark voneinander operierende Distributionslager beliefert und bewirtschaftet, die wiederum die Kunden im mitteleuropäischen Raum gemeinsam belieferten. Diese doppelte Lagerhaltung wirkte sich auf die Menge der Bestände, die Tourenplanung, die Transportkosten, den Personalaufwand, die Lagerfläche und -ausrüstung, kurzum auf die gesamte Komplexität der Warenflüsse und deren Abwicklung von Fertigwaren negativ aus.

Unter Berücksichtigung der Anlieferung von markenanonymen Fertigprodukten dreier Produktions­standorte in Mitteleuropa und der Distribution von Markenprodukten innerhalb Europas, nach Asien und Nordamerika wurde hierfür ein neues Distributionszentrum geplant. Die Basis bildete eines der bereits bestehenden Distributionszentren, welches entsprechend der gesteigerten Vielfalt der Artikel und der umzuschlagenden Gütermenge ausgestaltet wurde. Ebenfalls wurden hierfür optimierte Verpackungs-, Kommissionier- und Versandprozesse unter Berücksichtigung der Gütermengen definiert und initialisiert. Die Tourenplanung zwischen den Produktionsstandorten und dem Distributionszentrum wurde in einem ersten Schritt zusammengelegt, wobei mittelfristig die Vergabe an einen Logistikdienstleister, wie bei der Belieferung der Kunden bereits geschehen, geplant wird. Um die zusammengeführten Bestände der Fertigwaren erheblich zu reduzieren, wurden auf Basis der Abverkäufe eine ABC- und XYZ-Analyse durchgeführt, um die Bestandsstruktur unter Berücksichtigung einer optimalen Lieferfrist und -verfügbarkeit auszugestalten.

Die wesentlichen Potenziale lagen hier in einer signifikanten Steigerung der Liefertreue (>95 %) und einer Reduzierung der Bestände um mehr als 35 %.

Erzielte Potenziale durch umgesetzte Maßnahmen

Durch die Integration der "nicht mehr ganz frisch" fusionierten Unternehmen haben sich immer noch erhebliche Synergiepotenziale identifizieren lassen, welche durch die Abarbeitung der definierten Teilprojekte über einen Zeithorizont von ca. neun Monaten auch realisiert werden konnten. Insgesamt konnten durch die eingeleiteten Maßnahmen Kostensenkungspotenziale von nahezu 10 % auf das gesamte Kostenvolumen identifiziert und realisiert werden, welche zu großen Teilen noch im Jahr 2002 bilanzwirksam wurden.

Für den Ausbau der Bedienung des neuen Vertriebskanals wurden ein zusätzliches Wachstumspotenzial von 3,3 Mio. € pro Jahr auf den Deckungsbeitrag ausgewiesen. Die Nutzung eines gemeinsamen Vertriebsnetzes bei gleichzeitigem Cross-Selling der Produkte konnte auf ein Wachstumspotenzial in Höhe von 0,9 Mio. € pro Jahr zurückgeführt werden.

Des Weiteren ergab sich, insbesondere was den Wertschöpfungsprozess betraf, eine Durchlaufzeitverkürzung der Aufträge für beide Marken von über 60 %. Diese Verkürzung war jedoch nicht alleine auf die Synergieeffekte zwischen den beiden Unternehmen zurückzuführen, sondern auch auf erforderliche Effektivitäts- und Effizienzsteigerungsmaßnahmen, die bereits im Vorfeld der Fusion zu realisieren gewesen wären.

Aus der erfolgreichen Umsetzung der Integration beider Unternehmen ergaben sich weitere additive Synergien:

  • Zusammenführung der nach wie vor getrennten Unternehmenskulturen der ehemaligen Unternehmen, insbesondere in den dem Vertrieb nachgelagerten Bereichen durch die Einführung des Corporate Identity der Dachgesellschaft
  • gesteigerte Akquisitionsmöglichkeiten durch umfangreiche Produktangebote
  • Besetzung der Führungspositionen des gekauften Unternehmens mit einem kompetenten Management
  • Motivation der Mitarbeiter durch Kommunikation einer klaren Strategie und der Zielsetzung nach Realisierung der Potenziale

Die Fusion ermöglichte dem neuen Unternehmen durch die umfangreichere Produktpalette, den Besitz zweier Marken und die Bedienung aller Vertriebskanäle eine verstärkte Position auf dem europäischen und dem Weltmarkt. Strategisch betrachtet wurden auch bei dieser Fusion die Eintritts- und Ausbaubarrieren für die Wettbewerber deutlich verschärft.

Durch die realisierten Kostensenkungspotenziale konnten nach Fusion erhebliche Synergieeffekte zwischen den beiden Unternehmen realisiert werden, die es ermöglichten, ein breiteres Produktprogramm bei gleichzeitig geringeren Herstellkosten anzubieten.

Weiterführende Literatur:

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