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E-Markets werden erwachsen

[25.02.2002]

Foto: alphaspirit / fotolia.com
Im Jahr 2000 gingen allein in Deutschland pro Woche zwei Marktplätze online. 2001 verabschiedeten sich fast genauso viele wieder vom Netz. Wie sehen die Prognosen aus?

"THERE‘S no Business like E-Business ..." – auf diese Formel ließ sich noch vor einigen Jahren der Traum vieler Firmenchefs aus der New Economy und mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung auch der Old Economy bringen. Auf einem virtuellen Handelsplatz die Bedingungen des Modells vom vollkommenen Markt anzutreffen, ist ein Ideal aus der volkswirtschaftlichen Theorie, das aber an den Gegebenheiten der Praxis scheitert. Die Initiatoren träumten von einer Plattform, auf der jeder Marktteilnehmer mit anderen Anbietern und Nachfragern in Kontakt treten, Waren und Dienstleistungen austauschen kann. Der Traum ist ausgeträumt. Vormals vielgepriesene Geschäftsmodelle zerfallen, die euphorische Überbewertung der Aktien von Firmen, die sich das E-Business auf die Fahnen geschrieben hatten, fand ein jähes Ende, Börsennotierungen stürzten ins Bodenlose.

Die Gegenwart sieht recht nüchtern aus: Markteintritte ins B-to-B-Segment sind nicht in Sicht, Schließungen von E-Markets an der Tagesordnung. Diese Phase des Pessimismus hatte das Marktforschungsunternehmen Gartner Group bereits 1999 prognostiziert. Zwischen 2001 und 2004, so die Analysten, werde die Branche konsolidieren. Dabei würde vor allem der Mehrwert der neuen Technologien auf den Prüfstand gestellt. Denn worauf es beim E-Business letztlich ankomme seien Ziele wie Prozessoptimierung und Kostensenkung. Nun macht sich das B-to-B-Geschäft daran, das Tal der Tränen zu verlassen. Es beginnt die Zeit der realistischen Selbsteinschätzung, und der Gedanke der Professionalisierung hält endlich Einzug in die Chefetagen. Diejenigen Marktplätze, welche die Marktbereinigung überstanden haben, richten sich neu aus.

Einige haben ihre Geschäftsmodelle geändert und definieren ihre Zielgruppen neu, andere erweitern ihren Leistungsumfang. Die Marktstruktur stellt sich heute wie folgt dar: Es gibt wenige große Marktplätze und eine Vielzahl kleiner, spezialisierter Web-Handelsplätze.

Auf Beschaffungs-Marktplätzen treffen Anbieter und Nachfrager, also der Einkauf eines Abnehmers und dessen Lieferanten, aufeinander. Im Gegensatz zu traditionellen Shop-Lösungen handelt es sich bei dieser Transaktionsform um organisierte Märkte, die von neutralen Dienstleistern oder den Marktteilnehmern, insbesondere den Abnehmern, selbst betrieben werden. Ein Internet-Marktplatz ersetzt die physische Zusammenkunft von Abnehmer und Lieferanten. Er ist dadurch unabhängig von Ort und Zeit. Horizontale Marktplätze bieten dabei branchenübergreifende Leistungen an. Sie versuchen, ein umfassendes Angebot zu schaffen, um möglichst viele Branchen abdecken zu können und dem Einkäufer ein universelles Tool an die Hand zu geben. Vertikale Marktplätze hingegen konzentrieren sich auf eine Branche und beziehen gegebenenfalls noch verwandte Themengebiete mit ein. Sie versuchen, ein möglichst umfangreiches Angebot für die Ein- und Verkäufer dieser Klientel zur Verfügung zu stellen. Der Betreiber vertikaler Märkte benötigt demzufolge viel spezifisches Branchen-Know-how. Nachteilig erweist sich hier, dass der Einkäufer den Marktplatz wechseln muss, wenn er Leistungen anderer Branchen beziehen will.

Ein wesentlicher Vorteil elektronischer Handelsplätze ist die Transparenz von Märkten und Preisen. Sie ist weitaus größer als bei konventionellen Einkaufs- und Verkaufsverhandlungen und Abschlüssen, bei denen nur die direkt Beteiligten an einem Tisch sitzen. Ein Marktplatz stellt somit einen Transaktionsmittler für Abnehmer und Lieferanten dar. Zentrales Charakteristikum elektronischer Marktplätze ist die Möglichkeit, geschäftliche Transaktionen auf der Plattform selbst zu vereinbaren oder zumindest den Vertragsabschluss in wesentlichen Aspekten vorzubereiten. Zu den geschäftlichen Transaktionsphasen gehören die Informations-, die Vereinbarungs-, die Abwicklungs- sowie die Servicephase. Die Funktionen, die ein Marktplatz seinen Nutzern anbietet, unterstützen diese Transaktionsphasen in unterschiedlichem Umfang. Für die Informationsphase stehen dem Einkäufer Daten, wie Lieferanten- und Produktverzeichnisse zur Verfügung. Außerdem kann er im Dialog mit anderen Benutzern Informationen in (Diskussions-)Foren austauschen.

Dieser Funktionsblock unterstützt den Nutzer in der Phase der Beschaffungsmarktforschung und Lieferantenauswahl. In der sich anschließenden Vereinbarungsphase erfolgt ein Kontakt zwischen den Marktteilnehmern, etwa in Form von Ausschreibungen, Verhandlungen, gemeinsamen Planungen und Auktionen.

Im dritten Schritt, der Abwicklungsphase, werden die Geschäftsvorfälle im Sinne der operativen Beschaffung zwischen den Geschäftspartnern abgearbeitet. Hierzu zählen nicht nur Bestellungen, bei denen die individuellen Kundenkonditionen berücksichtigt werden, sondern auch die Auftrags-, Liefer- und Zahlungsüberwachung. Die Servicephase schließlich bietet den Markplatznutzern während der nachfolgenden Produktverwendung die Möglichkeit, mit dem Service des Anbieters Kontakt aufzunehmen, Datenbanken mit Service-Informationen zu konsultieren sowie die Möglichkeit, neueste Software für die Produkte im Download zu beziehen. Ziel vieler Marktplätze ist es, ein möglichst umfassendes Angebot an Funktionen bereitzustellen, sodass der Einkäufer den Marktplatz als seinen „Arbeitsplatz von morgen" nutzen kann.

Der überwiegende Teil der Unternehmen will sich auf wenige Marktplätze konzentrieren. Forester Research spricht von zwei Dritteln der Unternehmen, die nur ein bis zwei Marktplätze benutzen wollen, die Boston Consulting Group von etwa 50 Prozent der befragten Unternehmen, die fünf oder weniger Marktplätze konsultieren. Dies verdeutlicht das Bedürfnis der Nutzer nach wenigen Marktplätzen mit einem breiten Leistungsspektrum. Die Geschwindigkeit der daraus resultierenden Auslese wird branchenabhängig sein.Vielfach werden Marktplätze ausschließlich mit enormen Einsparungen bei Material- und Prozesskosten in Verbindung gebracht. Dies ist zutreffend, doch muss eine solche Bewertung differenziert nach Plattform und Einsatzzweck im Unternehmen erfolgen.

Ein weiterer wesentlicher Vorzug ist – je nach Ausrichtung des Marktplatzes – das große Angebot der gehandelten Güter. Auch liegen deren Preise häufig auf einem niedrigeren Niveau als beim konventionellen Einkauf. Die Internet-Technologien ermöglichen überdies die Nutzung der Marktplätze ohne nennenswerte Zusatzinvestitionen, sodass auch kleinere Unternehmen kostengünstig daran teilnehmen können. Durch die laufende Aktualisierung zentraler Datenbanken sind Informationen auf den Marktplätzen zudem tagesaktuell. Handelsplattformen, die einen guten Ruf und namhafte Referenzkunden haben, genießen darüber hinaus bei den Benutzern hohes Vertrauen.

Elektronische Marktplätze haben indes auch ihre Schwachstellen, zum Beispiel das Problem der technischen Realisierung. So haben die Handesplattformen in der Regel unterschiedliche Bildschirm-Layouts und Bedienung, die Lieferbedingungen differieren, und der Benutzer muss für jeden Marktplatz eine gesonderte Benutzerkennung einsetzen. Hinzu kommt, dass die Marktplatzbetreiber individuelle Prozesse kaum berücksichtigen und entsprechende Abläufe nicht abbilden.

Die Integration in bestehende ERP- oder Warenwirtschaftssysteme wird von den Marktplatzbetreibern verstärkt vorangetrieben, da die bisherigen Möglichkeiten auch aufgrund der Vielfalt von Standards hinter den Anforderungen der Abnehmer zurückblieben. Das Controlling wird, wenn es nicht in die unternehmenseigenen Systeme integriert ist, ebenfalls erschwert.

Die Beantwortung der Frage „Welcher Marktplatz ist der richtige?" bedarf einer ausgiebigen Analyse. Ausgehend vom Einsatzzweck des Abnehmers sind Beurteilungskriterien zu definieren und zu gewichten. Anhand dieser Kriterien lässt sich dann die Ausprägung der für den Abnehmer relevanten Aspekte zur Benutzung eines Marktplatzes zur Beschaffung beurteilen. Diese Aspekte und Merkmale kann man in vier Bereiche unterteilen: Zunächst stehen bei der Bewertung die Funktionen im Vordergrund, die ein Marktplatz bietet. - Die hinterlegten Produkt- und Lieferantendatenbanken legen das Spektrum der gehandelten Beschaffungsgüter fest. - Die Teilnehmerzahlen und -namen geben über Verbreitung und Referenzen Auskunft. - Schließlich fließen die Kosten in die Bewertung ein, da Einsparungen das grundsätzliche Motiv von Marktplätzen sind.

Anhand dieser Kriterien lassen sich Marktplätze bezüglich ihrer Eignung für den spezifischen Anwendungszweck beim Abnehmerunternehmen vergleichen, bewerten und schließlich auswählen. Dabei ist keine pauschale Empfehlung eines Marktplatzes möglich, sondern die Entscheidung für oder gegen einen Internet-Handelsplatz immer das Ergebnis einer differenzierten Beurteilung in Bezug auf den Einsatzzweck des Abnehmerunternehmens.

Den Unternehmen muss klar sein, dass die Integration eines Marktplatzes in den Einkauf eine strategische Neuausrichtung der Beschaffung erfordert.

Dabei kann die oft halbherzige Umsetzung einer der größten Stolpersteine sein. So werden die Beschaffungsprozesse nicht ausreichend einbezogen, und es mangelt an einer detaillierten Aufnahme und Bewertung von Anforderungen an einen Marktplatz.

Auf der To-do-Liste für das Einkaufs-Management eines Unternehmens müssen auf jeden Fall zwei Aufgaben stehen: herkömmliche Genehmigungsprozesse zu vereinfachen und ein wirkungsvolles Controlling einzusetzen. Dies ist auch davon abhängig, welcher Anteil des Beschaffungsvolumens zukünftig über einen elektronischen Marktplatz beschafft werden kann und soll. Prinzipiell werden durch Nutzung eines Marktplatzes Einkaufsfunktionen zum Markplatz hin verlagert, sodass eine Integration in den Beschaffungsprozess des Abnehmers um so wichtiger ist.


Insbesondere bei operativen Beschaffungsvorgängen gewinnt damit die Integration in bestehende ERP-Systeme an Gewicht, verbunden mit der Definition und Entwicklung dafür erforderlicher Schnittstellen.

WeiterführendeLiteratur:

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