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Früherkennung von Wertsteigerungsmöglichkeiten in Unternehmen

[25.01.2000]

Foto: WavebreakmediaMicro / fotolia.com
‘Wir neigen dazu, die Übersicht über neueste Entwicklungen zu verlieren, und laufen damit ernsthaft Gefahr, den Anschluss zu verpassen‘, stöhnt ein Executive eines englischen Automobilzulieferers. Dabei bereitet ihm nicht nur die Intransparenz vieler Veränderungen innerhalb der eigenen Branche ein Gefühl der Unsicherheit. Auch die Flut von Entwicklungen in vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen birgt tiefgreifende Konsequenzen für das eigene Geschäft. Als Beispiel kann der erhebliche Nachfragerückgang von Schiebedächern für Kraftfahrzeuge genannt werden. Dieser wurde durch den Preisverfall in der Klimatechnik und das damit verbundenen Angebot von Klimaanlagen als Standardausstattung ausgelöst. Massive strukturelle Bewegungen können durch Umbrüche in den unterschiedlichsten Bereichen hervorgerufen werden. Eine Beschleunigung hinsichtlich der Verbreitung dieser Umbrüche ist deutlich erkennbar. Dies liegt insbesondere an der zunehmenden wirtschaftlichen Vernetzung, die das einzelne Unternehmen stärker in die Verantwortung hinsichtlich des betriebsübergreifenden Wertschöpfungsprozesses nimmt. Der Erfolg des Unternehmens ist folglich mehr und mehr in Abhängigkeit von Entwicklungen auch außerhalb der eigenen Werkstore zu betrachten. Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Unternehmensumfeld können sowohl Chancen als auch Risiken frühzeitig ausgemacht und Wissensvorsprünge erarbeitet werden. Gelingt es, diese Wissensvorsprünge in langfristige Wettbewerbsvorteile umzusetzen, kann mittels Früherkennung ein wesentlicher Beitrag zur Wertsteigerung des Unternehmens geleistet werden.

Potentielle Bereiche der Wertsteigerung identifizieren

Die Anzahl von Informationen über Umbrüche mit potentiellen Auswirkungen auf das eigene Unternehmen nimmt stetig zu. Anhand der jeweiligen Auswirkung auf die Wertsteigerung kann die Fülle an Informationen strukturiert werden. Einen potentiellen Bereich der Wertsteigerung im Unternehmen stellen mitunter Produktinnovationen dar. Charakteristisch für erfolgreiche neue Produkte ist, dass sie das Kundenproblem häufig effektiver und direkter als ihre Vorläufer lösen. ‘Von Zeit zu Zeit muss ich meine Mitarbeiter daran erinnern, dass unsere Kunden nicht an Bohrmaschinen, sondern an Löchern in der Wand interessiert sind‘, bemerkt der Chefkonstrukteur eines Werkzeugherstellers. Sind sich die Mitarbeiter eines Unternehmens der Bedürfnisse ihrer Kunden bewußt, so werden relevante Veränderungen im Umfeld schneller wahrgenommen. Eine bewährte Möglichkeit, Produktinnovationen im eigenen Unternehmen anzustoßen bietet etwa die Produktklinik. Dabei wird eine am Kundennutzen orientierte, systematische Analyse von Konkurrenzprodukten vorgenommen. Der Vorteil liegt dabei nicht in der einfachen Übernahme von Lösungen anderer Hersteller, sondern in der Schaffung eines zentralen Lernortes für die Mitarbeiter.

Auch über das Angebot von Systemleistungen, also der Bereitstellung von Produkten sowie zugehöriger Dienstleistungen, kann eine Wertsteigerung im Unternehmen erfolgen. Dies kann entweder aus eigener Kraft oder im Verbund mit anderen Unternehmen geschehen. Der Erfolg großer Kopiergerätehersteller ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass dem Kunden neben dem Gerät als solches auch die Finanzierung sowie die Reparatur bzw. Wartung aus einer Hand angeboten werden.

Wertsteigerung im Unternehmen kann auch über erfolgreiche Kundenbindung erzielt werden. Dies verdeutlicht das Beispiel der Vielfliegerprogramme großer Fluggesellschaften. Es ist bekannt, dass inzwischen viele Passagiere sogar Umwege fliegen, um Prämienmeilen auf ihrem Konto gutgeschrieben zu bekommen. Diejenigen Fluggesellschaften die es verpaßt haben, rechtzeitig mit Partnern entsprechende Programme einzurichten, mussten bei sonst hervorragender Leistung bedeutsame Umsatzrückgänge hinnehmen.

Weiterhin haben Veränderungen auf den Beschaffungsmärkten Einfluss auf die Wertsteigerung. So können insbesondere Investitionen in neueste Technologien Quantensprünge hinsichtlich der Reduzierung von Stückkosten hervorbringen.

Aber auch von der Wertschöpfung vermeintlich entfernte Bereiche, wie etwa der Finanzbereich oder die Rechtsprechung, beinhalten beträchtliches Potential zur Beeinflussung der Wertsteigerung. Täglich werden durch das Financial Engineering neue Instrumente zur Absicherung von Auslandsgeschäften konstruiert. Sie erlauben die Abwicklung von Auslandsgeschäften, auf die wegen zu hoher Wechselkursschwankungen ehemals hätte verzichtet werden müssen.

Früherkennung anhand der Zielvorstellung methodisch ausrichten

Die Wissenschaft hält im wesentlichen drei Methoden zur frühzeitigen Erkennung von Veränderungen vor. Eine elementare Basis der Früherkennung stellen Forecast- und Kenn­zahlen­systeme dar. Mit ihrer Hilfe lassen sich Abweichungen von geplanten bzw. angenommenen Entwicklungen frühzeitig erkennen. Obwohl Forecast- und Kennzahlensysteme in nahezu allen Unternehmensbereichen verbreitet sind, können vielerorts Mängel hinsichtlich ihrer Aussagekraft festgestellt werden. Häufig werden einfach zu viele unnötige Daten erhoben, die darüber hinaus selten aufeinander abgestimmt sind.

Indikatorensysteme sind ein weiterer Baustein in der Früherkennung von Chancen und Risiken. Vielen tiefgreifenden Veränderungen sind bestimmte Erscheinungen zeitlich vorgelagert. So lassen sich zukünftige Absatzschwierigkeiten durch negative Branchenberichte verschiedener Wirtschafts­forschungs­institute vorhersehen. Da jedoch nahezu jedes Unternehmen Zugriff auf diese Indikatoren hat, läßt sich ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil aufgrund der Auswertung von Indikatoren nicht erwarten. Die Interpretation schwacher Signale bietet im Rahmen der Früherkennung das größte Potential, Wissensvorsprünge gegenüber dem Wettbewerb zu erarbeiten. Schwache Signale stellen anfangs schlecht definierte ‘Informationsrudimente‘ dar, die sich erst im Laufe des Beobachtungsprozesses schrittweise durch weitere Signale verdichten und konkretisieren.

Charakteristisch für agile und erfolgreiche Unternehmen sind insbesondere schlanke Kenn­zahlen­systeme sowie optimal aufeinander abgestimmte Instrumente zur Beobachtung schwacher Signale.

Instrumente der Früherkennung sinnvoll einsetzen

Im Rahmen der Früherkennung gibt es eine Reihe von einsetzbaren Instrumenten, die sich gegenseitig ergänzen und dem Unternehmen aus verschiedenen Blickwinkeln Informationen über relevante Veränderungen liefern können. Die Balanced Scorecard kann als solches Instrument auf Basis von Kennzahlen betrachtet werden. Die Balanced Scorecard integriert sowohl unternehmensinterne als auch -externe Größen zu einer Gesamtsicht. Angestrebt wird eine übersichtliche Darstellung der wichtigsten Kennzahlen aus den Bereichen Finanzen, Entwicklung, interne Prozesse und Kunden auf einem Blatt. Damit werden Unternehmen in die Lage versetzt, Fehlentwicklungen vergleichsweise schnell auszumachen und entsprechende Handlungsoptionen zu ergreifen.

Die Auslese relevanter Umfeldveränderungen aus der Vielzahl an Informationen kann mittels der Cross-Impact-Analyse erfolgen. Dabei wird die Auswirkung einer Entwicklung in einem Beobachtungsfeld auf diejenige in einem anderen bewertet. Darauf aufbauend können Szenarien entwickelt werden, die potentielle Auswirkungen einzelner Veränderungen plastisch machen. Die Geschwindigkeit der Ausbreitung neuer Erkenntnisse, Meinungen und Verhaltensweisen kann über das Diffusionskurvenkonzept ermittelt und graphisch dargelegt werden. Die Instrumente der Früherkennung von Umbrüchen und deren Auswirkungen auf das eigene Geschäft müssen ausgewogen eingesetzt werden. Ist dies der Fall, können die meisten Felder potentieller Ursachen weitreichender Veränderungen abgedeckt werden.

Aktionsbereiche der Früherkennung zu einem umfassenden System verknüpfen

Der Erfolg eines Früherkennungssystems ist maßgeblich von der Größe der Beobachtungslücken abhängig. Um diese Lücken so gering wie möglich zu halten, ist eine professionelle Ausgestaltung des Früherkennungssystems auf den unterschiedlichsten Ebenen des Unternehmens notwendig. Hierzu sind die effizientesten Methoden und Instrumente in Abhängigkeit der Besonderheiten des Unternehmensumfeldes auszuwählen und aufeinander abzustimmen. Wichtig ist ferner, die regelmäßige Diskussion der vom System hervorgebrachten Ergebnisse im Unternehmen zu garantieren. Nur dadurch werden letztendlich die Lernprozesse bei den Mitarbeitern beschleunigt und die Fähigkeiten, sich auf neue Gegebenheiten schneller einzustellen, gefördert.

Weiterführende Literatur zum Thema

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