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Vorbereitet auf Krisensituation: Vermeidung des Lieferkettenabrisses

[25.03.2020]

Foto: Golden Sikorka - stock.adobe.com
Die jüngsten Entwicklungen der Corona-Krise führen uns die Verwundbarkeit der industriellen Versorgungsketten und deren Bedeutung vor Augen. Im unternehmerischen Tagesgeschäft findet die Risikobewertung des Wertschöpfungsprozesses nicht immer die Aufmerksamkeit die sie verdient, denn schlussendlich ist die Frage nicht „ob“, sondern „wann“ es zu Störungen in der Lieferkette kommt. TCW erarbeitete eine Methodik zur Risikobewertung und Vermeidung des Lieferkettenabriss. Anhand eines klaren Vorgehens finden Unternehmen Antworten auf das „wie“ um den Lieferkettenabriss zu bewerten und individuelle Gegenstrategien zu entwickeln – vor dem Zusammenbruch der Wertkette.

Zur Existenzsicherung müssen produzierende Unternehmen in der Lage sein, ihre Wertschöpfungsketten in einem volatilen Umfeld zu beherrschen. Aufgrund globaler und komplexer Lieferketten und immer enger vernetzter Technologieanwendungen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass vermeintlich kleine Störungen eine Kettenreaktion innerhalb der Versorgungskette verursachen. Man nennt dieses Phänomen den „Bullwhip-Effekt“. Dieses Risiko wird von vielen Unternehmen unterschätzt. Gemessen an der Gesamtheit der versicherten Schäden ist die Anzahl der Betriebsunterbrechungen in den vergangenen 15 Jahren kontinuierlich gestiegen. Die Folgen daraus sind nicht unerheblich, da der Produktionsausfall eines wichtigen Lieferanten nicht nur die eigene Handlungsfähigkeit beeinträchtigen kann, was zu Umsatzeinbußen führt, sondern dies langfristig auch zum Verlust von Marktanteilen führen kann. Darum gilt es, Risiken frühzeitig zu erkennen und geeignete Risikomanagementmethoden einzusetzen, um dem entgegen zu wirken.

TCW Vorgehensweise

Die TCW-Vorgehensweise im Projekt gliedert sich nach vier Modulen. Zunächst wird die Wertschöpfungskette für relevante Produktfamilien analysiert. Für jeden Wertschöpfungsschritt werden im Detail Material- und Informationsflüsse dargelegt. Daraus ergibt sich ein vollständiges Bild der vorliegenden Planungs- und Steuerungsmechanismen zum Materialmanagement. Die Aufnahme von Lagerreichweiten und Bestellauslösemechanismen über die gesamte Lieferkette gibt erste Hinweise auf nötige Analysebereiche, die innerhalb des Stresstestes untersucht werden.


Der Lieferketten-Stresstest im Fallbeispiel

Beim Stresstest werden potentielle Risiken für die Lieferkette identifiziert. Dies geschieht in einem cross-funktionalen Team. Dabei werden zunächst Belastungsszenarien zur Untersuchung der Lieferkettenrobustheit entwickelt und definiert. Durch das Einbinden unterschiedlichster Bereiche des Unternehmens werden Einflussgrößen aus verschiedenen Blickwinkeln identifiziert. In Expertenworkshops werden daraus konsistente Belastungsszenarien gebündelt. Nachfolgend werden Analysemodelle angewandt, um Schwachstellen der Lieferketten zu identifizieren. Ergänzend zu den entwickelten Szenarien werden dabei Zielgrößen festgelegt und die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen diesen beiden modelliert. Durch die anschließende modellbasierte Belastungsanalyse können Einzelrisiken und Schwachstellen in den Lieferketten identifiziert, analysiert und bewertet werden. Als Ergebnis wird die aktuelle Risikosituation für die Belastungsszenarien transparent gemacht. Dabei werden die Schwachstellen den einzelnen Gruppen Lieferant, Organisation, Finanzmarkt, Versorgung, Land, Prozess und Geopolitisch zugeordnet und visualisiert. Das Gesamtergebnis dieses Moduls ist ein unternehmensspezifisches Risikoportfolio, welches Aussagen zur Gefährdungslage des Unternehmens möglich macht.


Bewährte Risikomanagementmethoden des TCW

In der Praxis wird zwischen vier Arten des Risikomanagements unterschieden. Diese reichen von einer Vermeidung und Verteilung des Risikos über die aktive Reaktion hin zur passiven Akzeptanz des Risiko.

Risikovermeidung

Bei der Risikovermeidung wird angestrebt, das bestehende Risiko vollumfänglich zu eliminieren. Anhand der Bezugsquellenanalyse lassen sich risikobehaftete Lieferanten aus instabilen Beschaffungsmärkten identifizieren und aus der Lieferkette eliminieren. Anhand des Risk-Sourcing Index erarbeitete TCW mit einem Unternehmen aus der Landwirtschaftsindustrie etwa eine basierend auf der jeweiligen Vertriebs- und Produktionsstrategie basierende Bezugsquellen-Matrix. Gezielt konnten hierdurch Risiken der Bezugsquellen vermieden werden und frühzeitig konnte bei besagtem Kundenprojekt ein mittlerweile insolventer Komponentenlieferant aus dem Lieferantenverzeichnis genommen werden. Auch mittels Frühwarnsystemen, basierend auf digitalen Entwicklungen in der Beschaffung, können potenzielle Schwachstellen innerhalb der Lieferkette identifiziert werden, bevor es zu realpolitischen Einschränkungen kommt. Dies erfordert eine Transformation von der traditionellen Lieferkette zu einem digitalen Lieferanten-Netzwerk. Hierdurch lässt sich ein umfassendes Informations- und Kollaborationsnetzwerk etablieren. Erste Anzeichen von Materialengpässen werden nachgelagerten Partnern gemeldet und diese gewinnen wertvolle Zeit um entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Bei kapitalintensiven Gütern wird durch so genannte Webcrawler das Internet systematisch nach Indikatoren von möglichen Bruchstellen in der Lieferkette gesucht. Soziale Netzwerke und Newsfeeds werden durchforstet und durch Analogieschlüsse kann die Tragweite von auftretenden Engpässen für das eigene Geschäft „prognostiziert“ werden.

Risikoverteilung

Die Risikoverteilung zielt auf eine Diversifikation des Schadens im Eintrittsfall ab. Hierbei wird das Risiko eines Lieferkettenausfalles auf die Akteure der Wertschöpfungskette verteilt. Neuartige Geschäftsmodelle gehen ebenfalls auf die Anfälligkeit der Versorgungskette ein. Nach dem „Allgefahren-Ansatz“ lässt sich mittlerweile jedes Risiko, von Erdbeben über Aschewolken bis hin zu Viruserkrankungen, das sich auf die Lieferkette auswirkt, versichern. Insbesondere bei Mittelstandsunternehmen kann eine Störung der Lieferkette die Liquidität und somit die Existenzgrundlage des Unternehmens nachhaltig gefährden. Anhand der Aufteilung der Beschaffungsquellen auf mehrere Lieferanten können sich Unternehmen gegen Lieferunterbrechungen einiger weniger Lieferanten wappnen. Konkret bedeutet dies, dass vertraglich ein Reserveangebot entwickelt und vereinbart wird. Hierdurch sind Produktionskapazitäten für einen definierten Bedarf während einer Lieferkettenunterbrechung reserviert. Der Vorteil dieser Lieferstrategie liegt darin, dass die Kosten nur über den Zeitraum der Unterbrechung anfallen.

Risikoreaktion

Sofern sich Risiken nicht abschätzen lassen, positionieren sich Unternehmen in einer vielversprechenden Ausgangsposition, um auf unvorhersehbare Risiken reagieren zu können. Das partielle Insourcing und der Aufbau von Lagerbeständen kann als kurzfristige Handlungsalternative herangezogen werden, um einem Versorgungsengpass zu begegnen. Um organisatorisch eine adäquate Reaktionsgeschwindigkeit an den Tag legen zu können, müssen entsprechende Prozessabläufe für das Eintreten von Krisen erprobt sein. Die Einrichtung eines Procurement-Boards bewährte sich in zahlreichen Beratungsprojekten als zielführende Methode, um einen reibungslosen Prozessablauf bei Krisenzeiten zu gewährleisten. In regelmäßigen Zeiträumen wird der Ernstfall der veränderten Ablauforganisation für den Fall eines Lieferkettenabrisses erprobt und simuliert. Eine weitere, langfristig ausgelegte Art auf Risiken zu reagieren, besteht darin, das Design der Produkte detailliert zu evaluieren. Hierzu dient die erprobte TCW-Methode der Funktionsanalyse, bei welcher die Funktionen eines Produktes mitsamt dem Erfüllungsgrad auflistet und nach Haupt- und Nebenfunktionen systematisiert werden. Auch lässt sich die Notwendigkeit von Funktionen und das Lieferrisiko von Baukomponenten einschätzen. Anhand von Designänderungen kann auf alternative Lieferanten zurückgegriffen werden und zusätzliche Funktionen lassen sich integrieren, beziehungsweise komplette Baugruppen substituieren.

Risikoannahme

In strategischer Hinsicht kann sich das Unternehmen dafür entscheiden, bestimmte Risiken auf der Grundlage einer sorgfältigen Abwägung aller negativen Auswirkungen und der Kosten für die Vermeidung zu akzeptieren. Dies ist der Fall, wenn die Kosten für die Präventionsmaßnahmen das Budget oder den Schaden für das Unternehmen übertreffen und sich das Unternehmen diese schlichtweg nicht leisten kann. Unter diesen Umständen kann ein Ausfall der Lieferkette hingenommen und beispielsweise mit erhöhten Beständen oder Vorratshaltung überbrückt werden. Dies darf allerdings nicht zum Regelfall werden, da die entstehenden Kosten und Schäden oft nicht in vollem Umfang abzusehen sind.

Fazit

Die vom TCW durchgeführten Projekte haben bestätigt, dass Unternehmen beim Risikomanagement unter Anwendung eines methodischen Vorgehens und Tool-Einsatzes operativ rentabler und zugleich flexibler gegenüber Wettbewerbern und unvorhersehbaren Ereignissen agieren können. Das Ergebnis sind robustere Wertketten. Dabei liegt der Vorteil eines proaktiven Risikomanagements bei Lieferketten durch Frühwarnsysteme in der potenziellen Kosteneinsparung. Es minimiert die Risiken und im Krisenfall ist das Unternehmen zu einer schnellen Reaktion befähigt. Auch im aktuellen Geschehen der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus profitieren die Unternehmen von diesem methodischen Vorgehen und den initiierten Maßnahmen, sodass ihnen beim Abriss der Lieferkette konkrete Handlungsempfehlungen vorliegen. Hierzu unterstützt Sie das TCW bei der Installation eines individuellen Supply Chain Risikomanagements für Ihr Unternehmen mit dem Ziel, Lieferkettenausfälle zu vermeiden und gleichzeitig Kosten zu senken.

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